Entscheidungsstichwort (Thema)

Kosten einer Liposuktion bei Lipödem als außergewöhnliche Belastung

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Liposuktion bei Lipödem ist im Jahr 2017 nicht als „nicht wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode” im Sinne von § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStDV anzusehen. Das Fehlen eines vor der Operation erstellten amtsärztlichen Gutachtens oder einer ärztlichen Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes einer Krankenversicherung steht daher der Anerkennung der Kosten als außergewöhnliche Belastung nicht entgegen.

 

Normenkette

EStG § 33 Abs. 1, 2 S. 1, Abs. 4; EStDV § 64 Abs. 1 Nrn. 1, 2 Buchst. f

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 23.03.2023; Aktenzeichen VI R 39/20)

 

Tenor

1. Der Einkommensteuerbescheid 2017 vom 17. Mai 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. September 2018 wird dahingehend geändert, dass Aufwendungen iHv. EUR … als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen sind. Die Berechnung wird nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Finanzamt übertragen.

2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung iHv. 110% der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

4. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob Kosten einer Liposuktion bei Lipödem im Jahr 2017 als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG berücksichtigt werden können.

Die Kläger sind zusammen veranlagte Eheleute. Sie erzielen Einkünfte aus nicht selbständiger Tätigkeit.

Bei der Klägerin wurde bereits im Jahr 2012 „Lipohypertrophie vom Ganzbeintyp Stadium I Typ IVb diagnostiziert” (Arztbrief … vom 23. August 2012, Blatt 29 der Finanzgerichtsakte). Mit Schreiben vom 12. Januar 2016 bescheinigte eine privatärztliche Praxis für Operative Lymphologie, dass die Klägerin seit mehreren Jahren an einem Lipödem leide und die Erkrankung weder durch Ernährung noch durch Sport positiv zu beeinflussen sei. Es bestehe eine deutliche Einschränkung im täglichen Leben. Eine Schmerzlosigkeit habe auch durch komplexe Entstauungstherapie nicht erreicht werden können. Als Therapie der Wahl zur Verhinderung der Chronizität gelte daher eine Lymphologische Liposculptur (Blatt 30 Finanzgerichtsakte).

Im Streitjahr 2017 wurde die Klägerin dreimal operiert und zwar am … und …. Die Kosten hierfür beliefen sich auf insgesamt EUR … (Blatt 31 ff. der Finanzgerichtsakte). Eine Kostenerstattung der Krankenkasse … erfolgte nicht, da der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in seinen Richtlinien keine Empfehlungen zu dieser Methode gegeben habe (Schreiben der … vom 2. August 2016, Blatt 43 der Finanzgerichtsakte). In ihrer Einkommensteuererklärung 2017 beantragten die Kläger u.a. die Berücksichtigung von Aufwendungen für die ärztliche Behandlung mittels Liposuktion iHv. EUR … als außergewöhnliche Belastung.

Mit dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2017 vom 17. Mai 2018 setzte der Beklagte – das Finanzamt – die Einkommensteuer auf EUR … fest. Da – so die Erläuterungen des Bescheids – kein vor der Behandlung erstelltes amtsärztliches Attest vorlag, wurden die geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen nicht steuerlich berücksichtigt.

Mit dem Einspruch legten die Kläger ein amtsärztliches Attest vom …2018 vor (Blatt 13 R Rechtsbehelfsakte): Die bereits langjährig andauernde Erkrankung Lip- und Lymphödem bessere sich nicht trotz Ausschöpfung konservativer Methoden. Drei operative Behandlungen mittels Liposuktion im Arm- und Beinbereich habe der Klägerin eine Besserung ihrer Beschwerden gebracht. Aktuell sei eine Nachoperation im Beinbereich geplant. Die Behandlung erscheine aussichtsreich.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 3. September 2018). Bei der durchgeführten Liposuktion handele es sich um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Methode. Es liege kein vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vor.

Hiergegen richtet sich die am Montag, den 8. Oktober 2018 erhobene Klage. Die Kläger machen geltend, die Kosten für die Liposuktion im Jahr 2017 seien als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen. § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV sei auf den Streitfall nicht anwendbar. Denn die Liposuktion stelle keine „nicht wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode” dar.

Das vorliegende amtsärztliche Attest vom … bescheinige die medizinische Notwendigkeit der Liposuktion sowohl für die Behandlung in 2017 als auch eine Nachoperation in 2018. Die Indikation zur Nachoperation im … 2018 und die Operationen im Streitjahr 2017 könnten nicht isoliert betrachtet werden. Wenn die Nach-Liposuktionsoperation amtsärztlich für medizinisch erforderlich bestätigt werde, so seien aufgrund des kausalen Zusammenhangs auch die vorangegangenen Operationen betroffen.

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