Leitsatz

1. Die für die Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung erforderliche Funktionsgleichheit des Ersatzwirtschaftsguts ist grundsätzlich nur erfüllt, wenn das neue Wirtschaftsgut in demselben Betrieb hergestellt oder angeschafft wird, dem das entzogene Wirtschaftsgut diente.

2. Ausnahmsweise ist die Übertragung stiller Reserven auf Wirtschaftsgüter eines anderen Betriebs des Steuerpflichtigen nach den Grundsätzen der Ersatzbeschaffungsrücklage zulässig, wenn die Zwangslage durch Enteignung oder höhere Gewalt zugleich den Fortbestand des bisherigen Betriebs selbst gefährdet oder beeinträchtigt hat.

 

Normenkette

§ 4 Abs. 1 EStG; R 35 EStR

 

Sachverhalt

Ein Landwirt erhielt Versicherungsentschädigungen für bei einem Brand im Juli 1992 vernichtete bzw. beschädigte Wohn- und Wirtschaftsgebäude auf der Hofstelle seines verpachteten Betriebs. Von der Entschädigung ließ der Landwirt nur das Wohngebäude wieder herstellen. Im Jahr 1994 erwarb er einen weiteren landwirtschaftlichen Betrieb in 350 km Entfernung, den er selbst bewirtschaftete.

Der Landwirt war auf der Grundlage früherer Rechtsprechung der Auffassung gewesen, die Wirtschaftsgüter des überlassenen Betriebs seien beim Nutzungsempfänger zu bilanzieren. Nach einer Außenprüfung im Jahr 1998 bestand aber Einigkeit, dass entsprechend der neueren Rechtsprechung die betreffenden Wirtschaftsgüter dem Überlassenden zuzurechnen seien. Daraufhin beantragte der Landwirt, die durch den Schadensfall aufgedeckten stillen Reserven auf Wirtschaftsgüter im 1994 neu erworbenen Betrieb zu übertragen.

Weder FA noch FG gaben diesem Antrag statt.

 

Entscheidung

Auch die Revision des Landwirts hatte keinen Erfolg. Eine Rücklage für Ersatzbeschaffung könne in Bezug auf den alten Betrieb nicht gebildet werden, weil es an einer Ersatzbeschaffungsabsicht gefehlt habe. In Bezug auf den neuen Betrieb scheitere die Rücklagenbildung, weil die Rücklage betriebsbezogen sei und allenfalls dann auf einen anderen Betrieb übertragen werden könne, wenn die Zwangslage zugleich den Fortbestand des alten Betriebs betreffe.

 

Hinweis

1. Die sog. Rücklage für Ersatzbeschaffung (RfE) ist im Gesetz nicht geregelt. Sie wurde von der Rechtsprechung aus Billigkeitsgründen entwickelt und später in Abschnitt 35 der EStR aufgenommen. Zweck der Rücklage ist es, dem Steuerpflichtigen die Entschädigung für ein zwangsweise abhanden gekommenes Wirtschaftsgut ungeschmälert für die Beschaffung eines Ersatzwirtschaftsguts zu belassen. Der beim Untergang des alten Wirtschaftsguts durch Aufdeckung stiller Reserven entstehende Gewinn wird deshalb ausnahmsweise nicht sofort besteuert, sondern von den Anschaffungs- und Herstellungskosten des Ersatzwirtschaftsguts abgezogen. Die dadurch in dem neuen Wirtschaftsgut entstehenden stillen Reserven bleiben steuerverhaftet.

2. In ihrer Wirkungsweise hat die RfE viele Parallelen zur Rücklage nach § 6b EStG. Es gibt aber auch bedeutsame Unterschiede.

Ein Unterschied besteht etwa darin, dass nur für die RfE eine Ersatzbeschaffungsabsicht gefordert wird. Bei Bildung der Rücklage muss die Absicht bestehen, ein Ersatzwirtschaftsgut zu beschaffen.

Ebenfalls unterscheidet sich die RfE von der 6b-Rücklage durch eine engere Definition der Ersatzwirtschaftsgüter. Das neue Wirtschaftsgut muss in seiner Funktion genau dem untergegangenen Wirtschaftsgut entsprechen. Es ist deshalb weder möglich, die stillen Reserven auf ein anders genutztes Wirtschaftsgut zu übertragen (also z.B. keine Übertragung von einem Lkw auf einen Pkw), noch stille Reserven in einen anderen Betrieb desselben Steuerpflichtigen zu übertragen (also auch keine Übertragung vom Einzelunternehmen in die Personengesellschaft).

Von dem Kriterium der Betriebsbezogenheit gibt es nur eine Ausnahme: Wenn die Entschädigung gerade deshalb gewährt wird, weil der bisherige Betrieb aufgegeben werden muss (z.B. bei Auslagerung des Betriebs aus Immissionsschutzgründen), kann eine Übertragung naturgemäß nur auf Wirtschaftsgüter eines neuen Betriebs erfolgen.

3. So lagen die Dinge im Besprechungsfall aber nicht. Dort waren betriebliche Gebäude abgebrannt, die wieder hätten aufgebaut werden können. Dies war aber nicht beabsichtigt. Stattdessen sollte die Rücklage auf Gebäude eines zusätzlich erworbenen Betriebs übertragen werden. Damit fehlte es im Jahr der Gewinnrealisierung bereits an der Absicht, Wirtschaftsgüter zu beschaffen, auf die eine Übertragung möglich gewesen wäre. Eine Rücklage durfte also von Anfang an nicht gebildet werden, so dass der Gewinn sofort versteuert werden musste.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 22.1.2004, IV R 65/02

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