Leitsatz

Für die Lieferortbestimmung nach § 3 Abs. 6 UStG muss der Abnehmer bereits bei Beginn der Versendung feststehen. Eine Versendungslieferung kann dann auch vorliegen, wenn der Liefergegenstand nach dem Beginn der Versendung für kurze Zeit in einem Auslieferungslager gelagert wird.

 

Normenkette

§ 3 Abs. 6 UStG, Art. 32 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), Art. 8 Abs. 1 Buchst. b 6. EG-RL (= EWGRL 388/77)

 

Sachverhalt

Die Klägerin lieferte in den Streitjahren 2001 bis 2008 Waren an die Beigeladene über ein im Inland gelegenes Warenlager. Die Warenlieferungen erfolgten auf der Grundlage sog. zentraler Lieferverträge. Die konkreten Liefermengen und Lieferdaten ergaben sich erst aus sog. Lieferabrufplänen, die die Beigeladene der Klägerin häufig täglich übersandte.

Nach den zentralen Lieferverträgen war nur der Lieferabruf juristisch bindend und führte zu einem Kaufvertrag. Nach den zum Vertragsbestandteil gewordenen "Allgemeinen Einkaufsbedingungen" der Beigeladenen wurden Warenmenge und Liefertermin erst durch den Lieferabruf festgelegt. Die Klägerin hatte die erforderliche Kapazität sicherzustellen, um die Warenmengen einschließlich Vorschaumengen aus Lieferabrufen erfüllen zu können. Mit dem Lieferabruf und einem zeitlich nachfolgenden konkretisierten Feinabruf teilte die Beigeladene der Klägerin verbindlich mit, welche Warenmengen zu welchem Datum angeliefert werden mussten.

Das Eigentum an den Waren sowie die Gefahr des zufälligen Untergangs sollten erst zu dem Zeitpunkt und an dem Lieferort übergehen, der im jeweiligen Liefervertrag bestimmt war. Die Beigeladene war aber verpflichtet, für die durch den Lagerhalter verursachten Schäden gegenüber der Klägerin einzustehen. Für den Fall einer Kündigung eines Lieferabrufs musste die Beigeladene die aufgrund des Abrufs bereits eingelagerten Waren bezahlen. Die Lieferabrufe enthielten stets Freigaben für die nächsten zwölf Wochen und bestimmten für diesen Zeitraum Liefertermine in Abständen von regelmäßig ein bis zwei Wochen. Die in das Lager versandten Waren entsprachen mengenmäßig dem Bedarf der Beigeladenen in den nächsten Tagen und Wochen.

Das Finanzamt war der Auffassung, dass die Klägerin im Inland steuerpflichtige Lieferungen an die Beigeladene erbracht habe. Im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung gingen die Klägerin und das Finanzamt davon aus, dass für 95 % der Lieferungen bereits bei Beginn der Versendung in Spanien verbindliche Bestellungen der Beigeladenen vorlagen.

Während der Einspruch erfolglos blieb, gab das Finanzgericht (Hessisches FG, Urteil vom 25.8.2015, 1 K 2519/10, Haufe-Index 8732088, EFG 2015, 2229) der Klage überwiegend in dem Umfang statt, als bereits bei Versendungsbeginn in Spanien verbindliche Bestellungen vorlagen.

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Das Finanzgericht habe im Ergebnis zutreffend entschieden, dass sich der Ort der von der Klägerin ausgeführten Lieferungen nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG bestimme, wenn die Person des Abnehmers bereits bei Beginn der Versendung feststehe.

 

Hinweis

1. Wird der Gegenstand der Lieferung befördert oder versendet, gilt die Lieferung gemäß § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt. Nach Art. 32 MwStSystRL gilt als Ort der Lieferung der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befindet.

2.§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG setzt eine Versendung an den Abnehmer voraus. Dieser muss im Zeitpunkt der Versendung nach Maßgabe des der Lieferung zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses, aus dem sich die Person des Abnehmers ergibt, feststehen.

3. Kommt es für § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG auf die Versendung an einen bei ihrem Beginn bereits feststehenden Abnehmer an, setzt die Vorschrift auch voraus, dass die Versendung zu einem Gelangen des Liefergegenstandes an den Abnehmer führt. Die Versendung darf daher nicht abgebrochen werden. Eine nur kurzzeitige Lagerung nach Beginn der Versendung ist unschädlich.

Dementsprechend ist die Einlagerung in ein Auslieferungslager nach Beginn der Versendung an den Abnehmer für die Anwendung von § 3 Abs. 6 Satz 1 UStGohne Bedeutung. Der Umstand, dass die für einen von vornherein feststehenden Abnehmer bestimmten Waren noch für einen kurzen Zeitraum in einem auf Initiative des Abnehmers eingerichteten Lager zwischengelagert werden, steht zumindest bei einem dem Abnehmer vertraglich eingeräumten uneingeschränkten Zugriffsrecht der Annahme einer bereits zuvor begonnenen Versendung an den Abnehmer nicht entgegen.

4. Damit wendet sich der BFH gegen die Sichtweise der Finanzverwaltung. Diese geht in Abschn. 1a.2 Abs. 6 Satz 1 UStAE davon aus, dass die Versendung bei einem Verbringen in ein Auslieferungs- oder Konsignationslager erst mit der Entnahme aus eben diesem Lager beginnt.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 20.10.2016 – V R 31/15

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