Rn. 1404

Stand: EL 156 – ET: 02/2022

Die Übertragung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils setzt inhaltlich die Übertragung sämtlicher wesentlicher Betriebsgrundlagen voraus (Aufgabe des sog Zustandstatbestands s Rn 1401, wegen der teilweise geänderten Rechtslage ab VZ 2002 s Rn 1439).

Umstritten ist, was unter "wesentlich" zu verstehen ist. Dabei stehen sich eine funktionale und eine quantitative Betrachtungsweise gegenüber. Letztere ist durch die Rechtsfolge der Tarifermäßigung infolge der Verweisung in § 34 Abs 2 Nr 1 EStG auf § 16 EStG geprägt, also ergebnisorientiert: Nur wenn die WG mit den stillen Reserven aufgegeben bzw veräußert werden, kann die ermäßigte Besteuerung nach Sinn und Zweck der Tarifermäßigung ("Zusammenballung") erreicht werden. Dabei ist nicht zwischen Gesamthands- und Sonder-BV (s Rn 1424) zu unterscheiden.

Fraglich ist allerdings, ob bei Anwendung des § 6 Abs 3 EStG dieser Gedanke vorherrschend sein darf. Denn hier wird ja gerade keine Gewinnrealisation durchgeführt. Im Sinne einer normspezifischen Auslegung der Begriffsinhalte (Betrieb, Mitunternehmeranteile) sollte bei der Auslegung des "Wesentlich" (iSd § 6 Abs 3 EStG) eher auf die Funktion der WG innerhalb der betreffenden Sachgesamtheit geachtet werden. Diese Sicht wird in der BFH-Rspr allg (auch außerhalb von § 6 Abs 3 EStG) zunehmend vertreten (s BFH BStBl II 1995, 890 mwN; BMF v 03.03.2005, BStBl I 2005, 458 Rz 4).

 

Rn. 1405

Stand: EL 156 – ET: 02/2022

Nach Auffassung der FinVerw führt die Zurückbehaltung einer so verstandenen wesentlichen Betriebsgrundlage zur Aufdeckung der stillen Reserven in der übertragenen Einheit (Betriebsaufgabe s § 16 neu Rn 155ff (Schacht); BFH BStBl II 1995, 890 mit Kritik von Gebel, DStR 1996, 1880).

Wird das zurückbehaltene BV ins PV überführt, sind auch die dort befindlichen stillen Reserven aufzulösen (Entnahme) mit der weiteren Folge, dass die Tarifermäßigung des § 34 Abs 1 EStG für alle aufgedeckten stillen Reserven zu gewähren ist.

Bei Überführung des zurückbehaltenen (wesentlichen) BV in ein anderes BV scheidet eine Tarifbegünstigung und die Gewährung des Freibetrages nach § 16 Abs 4 EStG für die im Mitunternehmeranteil enthaltenen (aufzudeckenden) stillen Reserven aus (s BFH v 24.08.2000, BFH/NV 2000, 1554; BFH v 12.04.2000, BStBl II 2001, 26; BFH v 06.12.2000, BStBl II 2003, 194).

Zur teilweise geänderten Rechtslage ab 2001 durch Einführung des § 6 Abs 3 S 2 EStG, der ausdrücklich eine Zurückbehaltung wesentlicher Betriebsgrundlagen erlaubt s Rn 1439, sowie zur neueren Rspr des BFH s Rn 1422. So hat der BFH zB entschieden, dass ein Anwendungsfall des § 6 Abs 3 EStG auch dann gegeben ist, wenn im Vorfeld der unentgeltlichen Übertragung des ganzen Betriebs eine wesentliche Betriebsgrundlage ausgegliedert wird (BFH v 14.07.2016, IV R 19/13, BFH/NV 2016, 1702 Rz 21), sowie, dass eine Übertragung von Sonder-BV nach § 6 Abs 5 EStG für die steuerneutrale Übertragung nach § 6 Abs 3 EStG unschädlich ist.

Letztgenannte Rspr erkennt die FinVerw inzwischen an (vgl BMF v 20.11.2019, BStBl I 2019, 1291 Rz 10–15). Danach ist eine zeitgleiche Übertragung des WG nach § 6 Abs 5 EStG für § 6 Abs 3 EStG unschädlich. Darüber hinaus vertritt die FinVerw die Auffassung, dass wenn im Zeitpunkt der Übertragung des Anteils am Gesamthandsvermögen funktional wesentliches Sonder-BV zurückbehalten und zeitgleich oder taggleich in das PV des Übertragenden überführt wird, eine Buchwertfortführung nach § 6 Abs 3 S 1 EStG nicht zulässig ist, weil sich das funktional wesentliche Sonder-BV zum Zeitpunkt der Entnahme noch im BV des Übertragenden befand und bei einer derartigen Konstellation gerade nicht alle im Übertragungszeitpunkt noch vorhandenen wesentlichen Betriebsgrundlagen des vorhandenen Betriebs nach § 6 Abs 3 S 1 EStG übertragen werden (vgl BFH v 29.11.2017, I R 7/16, BStBl II 2019, 738). In diesem Fall liegt insgesamt grundsätzlich eine tarifbegünstigte Aufgabe des gesamten Mitunternehmeranteils vor (Beschluss des BFH v 31.08.1995, VIII B 21/93, BStBl II 1995, 890). Die stillen Reserven im Gesamthandsvermögen und im Sonder-BV sind aufzudecken.

Auch der BFH vertritt die Auffassung, dass eine zeitgleiche Veräußerung/Entnahme der wesentlichen WG schädlich für die Anwendung des § 6 Abs 3 EStG ist, auf die zeitliche Reihenfolge ist daher zwingend zu achten. Nach der sog zeitpunktbezogenen Betrachtungsweise müssen alle zum Zeitpunkt der Übertragung vorhandenen wesentlichen WG übertragen werden, damit § 6 Abs 3 S 1 EStG erfüllt ist. Sollte vorab ein WG ins PV überführt oder in ein anderes BV übertragen worden sein, ist dies unschälich, sofern diese zeitlich vorgelagert erfolgt. Eine zeitgleiche Übertragung ist nach Rspr des BFH nur möglich, wenn diese nach § 6 Abs 5 EStG zu Buchwerten erfolgen kann (vgl Müller/Dorn, DB 2021, 257).

Die neuere Rspr des BFH zielt darauf ab, dass eine vorangegangene Übertragung einzelner WG (ins PV oder BV, ggf nach § 6 Abs 5 EStG) für die steuerneutrale Übertragung der Sachgesamthe...

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