Rn. 185

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Wird keine Freistellungsbescheinigung vorgelegt, braucht der Steuerabzug nicht vorgenommen werden, wenn bestimmte Bagatellgrenzen nicht überschritten werden. Der Leistungsempfänger ist von der Steuerabzugsverpflichtung befreit, wenn die Gegenleistung im laufenden Kj voraussichtlich

 

Rn. 186

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Es ist misslich, dass das Gesetz die Inanspruchnahme der Befreiungsvorschriften von einer Prognose abhängig macht, welchen Umfang die Bauleistungen und damit die Gegenleistungen im Kj voraussichtlich noch annehmen werden. Hierin liegt für den Leistungsempfänger ein großes Risiko, eine im Nachhinein falsche Entscheidung zu treffen und deshalb später zu haften. Der simple Rat, im Zweifel den Steuerabzug eher vorzunehmen, ist nur aus steuerrechtlicher Sicht naheliegend. Zivilrechtlich bedeutet ein Steuerabzug ohne bestehende Verpflichtung eine teilweise Nichterfüllung der Forderung des Leistenden. Deshalb sollten dem Leistungsempfänger die aus dem Prognosecharakter der Befreiungsvorschriften entstehenden Schwierigkeiten nicht zugemutet werden. De lege ferenda sollten pro Kj feste Bagatellgrenzen ohne Prognoseelemente unter Zusammenrechnung aller Gegenleistungen bis zum Zahlungszeitpunkt gelten (ebenfalls kritisch: Stickan/Martin, DB 2001, 1441; Lieber, DStR 2001, 1470).

1. Allgemeine Bagatellgrenze (§ 48 Abs 2 S 1 Nr 2 EStG)

 

Rn. 187

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognose, ob die Bagatellgrenze unterschritten wird, ist der Zeitpunkt der Entrichtung der Gegenleistung.

 

Rn. 188

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Nach § 48 Abs 2 S 2 EStG sind für die Ermittlung des maßgeblichen Betrags die für denselben Leistungsempfänger erbrachten und voraussichtlich zu erbringenden Bauleistungen (genauer: die dafür zu entrichtenden Gegenleistungen) zusammenzurechnen (Prognose). Dabei werden nur die Gegenleistungen für Bauleistungen desselben Leistenden zusammengerechnet (Fuhrmann, KÖSDI 2001, 13 093). Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Bagatellgrenze, wohl aber aus der Bezugnahme auf den einzelnen Leistenden in dem ersten Satzteil des § 48 Abs 2 S 1 EStG. Nicht einzubeziehen sind Gegenleistungen, für die eine Freistellungsbescheinigung vorgelegt wird (Tz 51 BMF BStBl I 2022, 1229). Sind die zukünftigen Gegenleistungen für Bauleistungen absehbar, kann die Einhaltung der Bagatellgrenze durch Vereinbarung, dass die Zahlung erst im folgenden Kj geleistet wird, gestaltet werden. Die Grenze derartiger Gestaltungen ist § 42 AO (vgl Schroen, NWB Fach 3, 11 683).

 

Rn. 189

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Bei der Ermittlung des mit der Bagatellgrenze zu vergleichenden Betrags dürfen nur Gegenleistungen einbezogen werden, die für Bauleistungen iSd § 48 Abs 1 S 3 EStG erbracht werden. Unerheblich ist, ob der Leistende die Bauleistungen für dasselbe oder für verschiedene Bauwerke erbracht hat. Zum Begriff der Bauleistung s Rn 94ff.

Für die Frage, ob eine Bauleistung vorliegt, ist maßgeblich, welche Leistung dem Vertrag das Gepräge gibt. Nebenleistungen teilen das Schicksal der Hauptleistung (s Rn 114). Anders ist es allerdings, wenn die Bauleistung teilweise auf den unternehmerisch genutzten Teil und teilweise auf den nicht unternehmerisch genutzten Teil eines Bauwerks entfällt. In diesen Fällen wird für die Prüfung der Bagatellgrenze nur der Teil der Gegenleistung berücksichtigt, der auf den unternehmerisch genutzten Bauteil entfällt (Tz 50 BMF BStBl I 2022, 1229). Zum Begriff der Gegenleistung s Rn 125ff.

 

Rn. 190

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Ist die Bagatellgrenze überschritten, hat der Leistungsempfänger den Steuerabzug vorzunehmen. Dabei darf er den Bagatellbetrag nicht aus der Bemessungsgrundlage ausscheiden. Die Bagatellgrenze ist eine Freigrenze, kein Freibetrag (Tz 27 und 47 BMF BStBl I 2022, 1229; Fuhrmann, KÖSDI 2001, 13 093; Ebling, DStR 2003, 402).

 

Rn. 191

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Nimmt bei einer umsatzsteuerlichen Organschaft die Organgesellschaft im Auftrag des Organträgers den Steuerabzug vor (s Rn 78) oder nimmt bei einer juristischen Person des öffentlichen Rechts eine einzelne Organisationseinheit der juristischen Person den Steuerabzug vor (s Rn 81), besteht die Gefahr, dass die Befreiung im Hinblick auf die Bagatellgrenzen in Anspruch genommen wird, obwohl für den Organträger bzw die juristische Person des öffentlichen Rechts insgesamt die Bagatellgrenzen überschritten sind (Auseinanderfallen von einbehaltender Einheit und Leistungsempfänger).

Deshalb verlangt die FinVerw in beiden Fällen eine zentrale Überwachung der Freigrenze für alle Organisationseinheiten (Tz 48 und 49 BMF BStBl I 2022, 1229). Allerdings führt die Nichtbeachtung dieser Forderung zu keiner Sanktion...

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