Rn. 43

Stand: EL 139 – ET: 10/2019

Für die von der Regelzurechnung zum zivilrechtlichen Eigentümer abweichende Ausnahmezurechnung nach § 246 Abs 1 S 2 HGB, § 39 Abs 2 Nr 1 AO hat sich der Begriff "wirtschaftliches Eigentum" durchgesetzt. Mit dem vielfach als terminologisch verfehlt gewerteten Begriff des "wirtschaftlichen Eigentums" bzw des "wirtschaftlichen Eigentümers" (kritisch zB Döllerer, BB 1971, 535: "Ausdruck ist […] Widerspruch in sich selbst"; Heidner, DB 1996, 1203) wird nicht der Anspruch auf Begründung eines eigenständigen handels- u/o steuerrechtlichen Eigentumsbegriffs erhoben. Der Terminus "wirtschaftliches Eigentum" ist vielmehr eine griffige sprachliche Konvention für

(1) die Umschreibung der Herrschaftsmacht über ein WG als maßgebenden, leistungsfähigkeitsorientierten Anknüpfungspunkt von Steueransprüchen, die aus der Herrschaft über einzelne WG herzuleiten sind (Mayer, Wirtschaftliches Eigentum an KapGes-Anteilen, 2003, 30) u
(2) die Voraussetzungen einer von der Regelzurechnung nach § 246 Abs 1 S 2 Hs 1 HGB, § 39 Abs 1 AO abweichenden Zurechnung zu einem Nichteigentümer.

Der Terminus wirtschaftliches Eigentum ist ein Sammelausdruck für eine Mehrzahl ungleichartiger zivilrechtlicher Rechtslagen, die einem Nichteigentümer eine eigentumsähnliche Rechtsposition verschaffen, die so ausgeprägt ist, dass sie die abweichende zivilrechtliche Form verdrängt (BFH v 27.10.1970, II 72/65, BStBl II 1971, 278; BFH v 27.11.1996. X R 92/92, BStBl II 1998, 97; BFH v 27.07.1999, X R 38/98, BStBl II 2000, 653; BFH v 24.06.2004, III R 50/01, BStBl II 2005, 80; BFH v 20.11.2003, III R 4/02, BStBl II 2004, 305; BFH v 25.07.2012, I R 101/10, BStBl II 2013, 165). Der Begriff wirtschaftliches Eigentum erfasst den materiellen Kern, die jeweils wesensbestimmenden Befugnisse des Eigentumsrechts in zivilrechtlichem Sinne (Martens, NJW 1962, 1850).

Die sprachliche Verkürzung des Regelungsinhalts der Norm geht insb auf die Begründung des Finanzausschusses zu § 39 Abs 2 Nr 1 S 1 AO zurück, die explizit ausführt, die Norm enthält eine Definition des "wirtschaftlichen Eigentums" (BT-Drucks 7/4292, 19). Treffender u unmissverständlich wäre der Terminus "personelle Zurechnung", wie er auch in der Überschrift des § 39 AO zum Ausdruck kommt.

Indessen hat sich der durch § 246 Abs 1 S 2 HGB sowie § 39 Abs 2 Nr 1 AO selbst nicht verwendete, aber sowohl durch Gesetzesmaterialien, andere Normen (Bsp § 94 Abs 1 BewG, § 62 Abs 2 Nr 7 FGO, § 8 Abs 4 InvStG, mehrfach in § 27 UmwStG), beständig durch die Finanz-Rspr (so bereits RFH v 11.05.1926, I A 217/25, RFHE 19, 113; RFH v 18.05.1926, I A 55/26, RFHE 19, 235; zuletzt etwa BFH v 16.6.2015, IX R 21/14, BFH/NV 2015, 1567; BFH v 18.08.2015, I R 88/13, BStBl II 2016, 961; BFH v 12.01.2016, IX R 20/15; BStBl II 2017, 21; BFH v 09.03.2016, X R 46/14, BStBl II 2016, 976; BFH v 21.12.2017, IV R 56/16, BFH/NV 2018, 597; BFH v 01.03.2018, IV R 15/15, BStBl II 2018, 539; BFH v 05.07.2018, VI R 67/15, BStBl II 2018, 789; BFH v 20.09.2018, IV R 39/11, BStBl II 2019, 131) ebenso wie durch die FinVerw (zB AEAO zu § 39 AO) und nicht zuletzt durchgehend im Fachschrifttum gebrauchte Terminus "wirtschaftliches Eigentum" zu einem "Schlüsselbegriff" (Beisse, StuW 1984, 12) wirtschaftlicher Betrachtungsweise im Bilanzrecht verselbständigt, in dem schlagwortartig die steuerlich maßgebende, am Leistungsfähigkeitsprinzip ausgerichtete Zurechnungsformel verdichtet ist (Döllerer, BB 1971, 535; Mayer, Wirtschaftliches Eigentum an KapGes-Anteilen, 2003, 29).

 

Rn. 44–48

Stand: EL 139 – ET: 10/2019

vorläufig frei

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