Rn. 141

Stand: EL 147 – ET: 11/2020

Bei ihren Modellrechnungen ging die Sachverständigenkommission, BMF-Schriftenreihe Bd 74, 51 unter Berufung auf das Urteil BVerfG v 06.03.2002, BStBl II 2002, 618 vom Nominalwert- bzw Nennwertprinzip aus, dh, sie setzte die in der Vergangenheit geleisteten Beitragszahlungen nominell ins Verhältnis zu noch zu leistenden Rentenzahlungen, ohne auf durch Zeitablauf bedingte Wertveränderungen der Beitragszahlungen Rücksicht zu nehmen. Unter Hinweis darauf, dass das BVerfG eine vom BMF in diesem Verfahren vorgelegte nominalwertbasierte Berechnung akzeptiert habe und der rechnerische Abgleich entsprechend der steuerlichen Grundsystematik unabhängig vom zeitlichen Abstand zwischen den Beitragszahlungen und der Vereinnahmung der "Erlöse" zu erfolgen habe, schloss sich der Gesetzgeber dieser Auffassung an. Auch das BVerfG hat in seinem Urteil v 06.03.2002 keine ausdrückliche Stellungnahme zum Nominalwertprinzip abgegeben.

Der BFH geht davon aus, dass das BVerfG das Verbot der Doppelbesteuerung auf der Basis der Anwendung des Nominalwertprinzips aufgestellt habe (BFH BStBl II 2011, 567; BFHN/NV 2016, 1791). Er schließt dies indirekt aus einer Formulierung im Urteil BVerfG v 06.03.2002, BStBl II 2002, 618, wonach es "der ökonomischen Logik einer Ertragsanteilsbesteuerung" entspreche, wenn "die nominellen Werte der geleisteten Beiträge in ihrer Relation zu den nominellen Werten der Rentenbezüge zugrunde gelegt werden". Vor dem Hintergrund der Inflationsentwicklung der letzten Jahrzehnte sei es hinnehmbar, dass bei Anwendung des Nominalwertprinzips alle Wertsteigerungen der Renten – unabhängig davon, ob inflations- oder rentenpolitisch bedingt – besteuert werden (BFH BStBl II 2011, 567). Die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG nicht angenommen (Beschluss BVerfG v 08.04.2011, 2 BvR 844/10). Diese Rspr wurde in weiteren Entscheidungen des BFH bestätigt (BFH BFH/NV 2010, 1173; 2011, 979). Gegen das Urteil des BFH v 04.02.2010, BFH/NV 2010, 1253 wurde ebenfalls Verfassungsbeschwerde eingelegt, die das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen hat (BVerfG v 30.09.2015, 2 BvR 1066/10, HFR 2016, 72).

Das BVerfG v 29.09.2015, 2 BvR 2683/11, BStBl II 2016, 310 hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anwendung des Nominalwertprinzips erhoben. Es sei mit dem Gleichheitsgebot einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit vereinbar, dass bei der Berechnung einer Doppelbesteuerung die zwischenzeitliche Geldentwertung unberücksichtigt bleibt und es aus Gründen der Klarheit und Handhabbarkeit des Rechts wie auch aus währungspolitischen Gründen nicht zu beanstanden ist, dass das ESt-Recht vom Nominalwertprinzip ausgeht, welches ein tragendes Ordnungsprinzip der geltenden Währungsordnung und Wirtschaftspolitik darstellt.

Das Abstellen auf das Nominalwertprinzip wird in der Literatur überwiegend für richtig gehalten (dazu ausführlich Dommermuth, FR 2020, 385; sowie Rügamer, FR 2020, 399; Schuster, DStR 2018, 2106; Karrenbrock, DStR 2018, 844), teilweise aufgrund der langen Zeiträumen, für die die Zahlungsströme verglichen werden, kritisch gesehen (etwa s Kulosa in H/H/R, § 10 EStG Rz 341 (Dezember 2017)) und teilweise abgelehnt (etwa s Chirvi/Maiterth, StuW 2019, 130; Siepe, DStR 2019, 2568).

Angesichts der klaren Positionierung des BVerfG und des BFH ist davon auszugehen, dass das Nominalwertprinzip für die Bestimmung einer etwaigen Doppelbesteuerung maßgeblich ist. Dies bedeutet, dass trotz der sehr langen Zeiträumen – zB können zwischen der ersten Beitragszahlung und dem ersten Bezug von Rentenbezügen aus der gesetzlichen Rentenversicherung durchaus 50 Jahre, zwischen der ersten Beitragszahlung in die gesetzliche Rentenversicherung und der zu erwartenden letzten Rentenzahlung gar mehr als 70 Jahre liegen – keine Auf- oder Abzinsungen auf die geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen oder die zukünftigen Rentenbezüge vorzunehmen sind. Allein dies wird angesichts der langen Vergleichszeiträume und der in diesen Zeiträumen stattfindenden Inflation in einer Vielzahl von Fällen dazu führen, dass der Nachweis einer Doppelbesteuerung nach oben genannten Kriterien nicht gelingen wird (so auch die Einschätzung etwa von Kulosa, DStR 2018, 1413).

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