Rn. 99

Stand: EL 156 – ET: 02/2022

Die Komposition ernster Musik ist zweifelsfrei künstlerisch (BFH BStBl II 1981, 21; BFH/NV 1990, 146). ME ist darüber hinaus für die Produktion von Jazz, Filmmusik und Unterhaltungsmusik, zB Tanz-, Pop- und Schlagermusik, nicht anders zu entscheiden, also auch für die Kompositionen der Leiter von Tanzkapellen (ebenso Wolf, FR 2002, 202), schon weil die Grenzen fließend sind und die gängige Unterscheidung zwischen "U-Musik" und "E-Musik" unter Musikschaffenden, -rezensenten und -liebhabern an Bedeutung verliert ("es gibt nur gute und/oder schlechte Musik").

Jede andere Unterscheidung ist – ob offen oder verdeckt – eine Unterscheidung nach guter und weniger/schlechter Kunst. Der BFH misst jedoch dem gekonnten Arrangement entscheidende Bedeutung bei (BFH BStBl II 1983, 7; zweifelnd auch Kempermann, FR 1992, 250, 253; Schneider, DStZ/A 1993, 165, 167).

 

Rn. 99a

Stand: EL 156 – ET: 02/2022

Kritik: Dieser Ansatz ist nicht frei von Bedenken; denn damit misst der BFH der Gestaltungshöhe entscheidende Bedeutung zu, was in der Definition des Kunstbegriffs durch das BVerfG (s Rn 90a) zumindest nicht in diesem Maße der Fall ist. In den Hintergrund tritt der materiale Gehalt des Kunstbegriffs (Ausdruck von Anschauungsweisen usw), der allerdings bei einfachsten Formen des Musikschaffens idR nicht anzutreffen sein wird. Doch bedeutet das Abstellen auf das Gekonnte des Arrangements demgegenüber die Gefahr der Nobilitierung einer "Methode", die die oben angegebenen Kunstbegriffe ebenfalls nicht erfüllt, jedenfalls wenn man den hohen Gehalt der Begriffsbestimmungen ernst nimmt. Zudem läuft diese Rspr auf die Berücksichtigung der "Verkehrsauffassung" mit der Berücksichtigung dessen hinaus, ob der Musikschaffende hinreichend "Anklang" gefunden hat (zB häufiges Auftreten in Funk und Fernsehen).

Da auch die Anerkennung eines ähnlichen Berufs nicht in Betracht kommt (s Rn 82), besteht mE die Lösung darin, Musik als zweckfreie Tätigkeit in formal-typologischer Betrachtung überhaupt als Kunst anzuerkennen (für eine großzügige Bewertung im Einzelfall Kalmes, BB 1983, 1200).

 

Rn. 100

Stand: EL 156 – ET: 02/2022

Die Reproduktion klassischer Musik durch Berufsmusiker als Virtuosen, Solisten oder Ensemble-Mitglieder ist künstlerisch (vgl BFH BStBl II 1990, 643). Danach ist für die künstlerische Qualität des Musikinterpreten kennzeichnend, dass er das aufzuführende Werk geistig und seelisch verarbeitet hat, um es in dem ihm eigenen Stil eigenschöpferisch aufführen zu können.

Doch auch hierbei handelt es sich um idealtypische Beschreibungen; denn auch bei einer noch so uninspirierten Darbietung wird den Klassikmusikern niemand das Künstlerische absprechen.

 

Rn. 100a

Stand: EL 156 – ET: 02/2022

Zweifelhaft ist jedoch weiterhin, inwieweit andere Musikdarbietungen Kunstwerke darstellen, namentlich die Darbietungen von Tanz- und Unterhaltungsmusik. Letzteres wird mE nur im Ergebnis zu Recht bejaht bei einem Tanz- und Unterhaltungsorchester, wenn seine Darbietungen einen bestimmten Qualitätsstandard erreichen (BFH BStBl II 1983, 7; 1977, 178; BFH/NV 1985, 17; s auch BMF BStBl I 1990, 638; zustimmend Woerner, BB 1983, 175; kritisch Maassen, Kunst oder Gewerbe?, Heidelberg 1991 Rz 387). Dabei komme es in erster Linie auf die nachgewiesene Befähigung der Orchestermitglieder als Musikinterpreten an, ferner auf die Bewertung des Vortrags und des Niveaus der Darbietungen insgesamt, wobei erheblich sei, ob und wie die Musik in eigenen Arrangements gespielt werde. Hierüber könne häufig nur aufgrund eines Gutachtens – s Rn 105 – befunden werden.

Mit diesem Urt ist BFH BStBl III 1956, 112 überholt. Kempermann, FR 1992, 250, 253 will darauf abstellen, ob das interpretierte Stück ein Kunstwerk darstellt; mE zu Unrecht, da ja unzweifelhaft das Künstlerische eben in der Interpretation liegen kann. Im Übrigen ist nicht zu übersehen, dass der BFH im Zusammenhang mit der Nichtklassik gleichheitswidrig Prüfungskriterien aufstellt, von denen der Klassikmusiker nicht tangiert wird. Zur Kritik insgesamt s Rn 99a.

Nach diesen Grundsätzen sind mE auch Musikschaffende anderer Musikgattungen, zB Jazz- und Pop-Ensembles, zumindest dann künstlerisch tätig wenn sie einen eigenen "Sound" entwickelt haben. Diejenigen, denen das nicht gelingt, fallen nach der oben angegebenen Rspr – mE zu Unrecht (s Rn 99a) – durch das Raster. Ebenso liegt es bei Blasmusikkapellen in Bierzelten, Zirkusorchestern und dgl. Zur Künstlereigenschaft eines DJ vgl FG D'dorf EFG 2021, 1727, rkr.

Nach der hier vertretenen Auffassung kann auch der normale Barpianist oder Stehgeiger im Caféhaus Künstler sein (jedoch vom BFH nach Wollny, DStR 1975, 577, 581 Fn 55 bereits – nv – anders entschieden). Der gelegentlich anzutreffende Hinweis, er sorge nur für eine "Musikkulisse", besagt schon deswegen nichts, weil nur der Hörer die Musik zur Kulisse macht, nicht der Künstler; davon abgesehen hat ein nicht unerheblicher Teil der heute unzweifelhaft als Kunst angesehenen Musik in seiner Entste...

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