Entscheidungsstichwort (Thema)

Reisezeit als fiktiver Dienst – Auslegung des Begriffs „Ankunft am Ort der Aufführung”

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Protokollnotiz Nr 2 zu § 15 Abs 1–3 des Tarifvertrages für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) ist ggf über den Wortlaut der Tarifnorm hinaus entsprechend dem Normzweck dahin auszulegen, daß „Ankunft am Ort der Aufführung” bei Anreise mit dem Bus die Ankunft am Hotel (bzw der Aufführungsstätte selbst) bedeutet, wenn die Orchestermitglieder im Hotel untergebracht sind.

2. Ist bei Anreise mit Flugzeug oder Bahn ein Transfer mit dem Bus zum Hotel erforderlich, gilt nichts anderes, unabhängig davon, ob der Ankunftsbahnhof oder der Flughafen innerhalb der politischen Gemeinde liegt, wo die Aufführung stattfindet.

3. Um eine widersprüchliche Handhabung der Tarifnorm und vor allem um von Zufällen abhängige Entscheidungen zu vermeiden, entspricht diese Auslegung dem Grundsatz, daß die Auslegung vorzuziehen ist, die vernünftiger, gerechter, zweckorientierter und praktisch brauchbarer ist.

 

Normenkette

TVG § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Urteil vom 26.09.2000; Aktenzeichen 26 Ca 13/00)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 26. September 2000 – 26 Ca 13/00 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die zusätzliche Vergütung von Reisezeiten, insbesondere über die Auslegung des Tarifmerkmals „Ort der Aufführung” im einschlägigen Tarifvertrag.

Der 33 Jahre alte Kläger ist Cellist im …

Auf das Arbeitsverhältnis ist der Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) anzuwenden.

Der Kläger nahm vom 2. Mai bis 10. Mai 1999 an einer Tournee teil, die nach B., D., K., H., F. und W. führte. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 10 – 14 d. A.) verwiesen.

Die Protokollnotiz Nr. 2 zu § 15 Abs. 1 – 3 TVK, über deren Auslegung die Parteien streiten, lautet:

„Bei einem auswärtigen Gastspiel mit einer Fahr- oder Flugzeit (Hin- und/oder Rückreise, gerechnet von der Abfahrt am Sammelplatz bis zur Ankunft am Ort der Aufführung und umgekehrt) von mehr als 4 Stunden wird die Reisezeit als ein Dienst gerechnet. Dies gilt auch für Reisen von einem Gastspielort zu einem andern. (…)”

Die Beklagte hat für die gesamte Tournee für aufgewendete Reisezeit nur einen zusätzlichen Dienst anerkannt, nämlich für den 4. Mai 1999.

Mit seiner Klage macht der Kläger die Bezahlung weiterer Dienste wegen Reisezeit geltend, nämlich für den 6., 8., 9. und 10. Mai 1999. Er hat vorgetragen, die Beklagte habe weitere Überdienste zu vergüten, und zwar mit 1/30 des monatlichen Bruttogehalts, weil die Beklagte den Begriff „Ort der Aufführung” in der Protokollnotiz falsch ausgelegt habe. „Ort der Aufführung” sei nicht gleichbedeutend mit „politischer Gemeinde”, in der man mit dem Zug oder dem Flugzeug ankomme, sondern als Pendant zum Begriff „Sammelplatz” das Hotel bzw. die Aufführungsstätte, wohin die Orchestermitglieder gebracht würden, wenn sie zuvor beispielsweise am Bahnhof oder am Flugplatz angekommen seien. Der Transfer am Gastspielort vom Bahnhof oder Flugplatz zähle daher als Fahrzeit im Sinne der Tarifnorm. Was Fahrzeit sei und damit (bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen) als Dienst gelte und abgerechnet werden müsse, könne vor allem nicht vom Zufall abhängig sein, nämlich beispielsweise davon, ob das Sammeltransportmittel gewechselt werden müsse. Entscheidend könne doch nach dem Zweck der Norm nur der Zeitraum sein zwischen dem Besteigen des ersten Transportmittels und dem Verlassen des letzten Transportmittels.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 825,40 nebst 4 % Zinsen auf den Nettobetrag seit dem 15. Juni 1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt.

die Klage abzuweisen.

Sie hat dazu vorgetragen, Ort der Aufführung im Sinne der Protokollnotiz sei die politische Gemeinde, in der die Aufführung stattfinde. Maßgebend sei mithin der Zeitpunkt, in dem man am Bahnhof ankomme oder – bei Anreise mit dem Bus – den Bus verlasse. Nur dann, wenn der Flughafen außerhalb der Gemeinde liege, in der die Aufführung stattfinde, sei auch der Transfer zu berücksichtigen, mithin als Reisezeit hinzuzurechnen. Im übrigen aber sei der Bustransfer reine Serviceleistung des Arbeitgebers und deshalb nicht zu berücksichtigen. Im übrigen hätten die sog. Reisedienste bei der Höchstbelastungsgrenze von 10 Diensten pro Woche unberücksichtigt zu bleiben. Durch die Tarifnorm solle sichergestellt werden, daß der Musiker durch die Vielzahl der Konzerte physisch nicht überfordert werde. Dieser Gesichtspunkt treffe aber auf Überdienste aufgrund von Reisezeiten nicht zu. Andernfalls müßten die so anzurechnenden Dienste mit etwaigen Unterdiensten im Ausgleichszeitraum verrechnet werden.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 26. September 2000 der Klage dem Grunde nach stattgegeben und sie lediglich hinsichtlich der Höhe der Forderung teilweise abgewiesen, weil es statt der geltend gemachten we...

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