1 Systematische Einordnung

DBA sind grundsätzlich aus sich selbst heraus auszulegen, ohne Rückgriff auf das jeweilige nationale Recht (autonome Auslegung; "Doppelbesteuerungsabkommen (DBA)"). Trotzdem können die Behörden bzw. Gerichte der beteiligten Staaten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, da die in den DBA verwendeten Begriffe häufig nicht definiert und teilweise auch nicht eindeutig sind. Eine gemeinsame gerichtliche Instanz, die diese Auslegungsfragen mit bindender Wirkung für beide Staaten entscheiden könnte, besteht nicht. Daher sehen die DBA entsprechend § 25 Abs. 3 OECD-MA ein besonderes Verständigungsverfahren (Konsultationsverfahren) vor, in dem Zweifelsfragen, die bei der Auslegung der Bestimmungen der DBA entstanden sind, im gegenseitigen Einvernehmen gelöst werden. Konsultationsvereinbarungen werden in § 2 Abs. 2 S. 2 AO näher definiert als einvernehmliche Vereinbarungen der zuständigen Behörden der Vertragsstaaten eines Doppelbesteuerungsabkommens mit dem Ziel, Einzelheiten der Durchführung eines solchen Abkommens zu regeln, insbesondere Schwierigkeiten und Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung des jeweiligen Abkommens bestehen, zu beseitigen. Das Ergebnis dieser Verhandlungen wird in Konsultationsvereinbarungen niedergelegt, die veröffentlicht werden.

2 Inhalt

Art. 26 Abs. 3 OECD-MA verpflichtet die Behörden der betroffenen Staaten, sich zu bemühen, Schwierigkeiten oder Zweifel bei der Auslegung und Anwendung des jeweiligen DBA im Einvernehmen zu lösen. Das Konsultationsverfahren kann auch dazu benutzt werden, Lösungen für die Beseitigung der Doppelbesteuerung für Fälle zu finden, die im DBA selbst nicht behandelt sind.

Ein Konsultationsverfahren betrifft i. d. R. abstrakte Auslegungs- und Anwendungsfragen, die unabhängig von einem konkreten Fall behandelt werden. Geht es um die Beseitigung einer Doppelbesteuerung im Einzelfall, ist das Verständigungsverfahren das richtige Verfahren ("Verständigungsverfahren"). Ein Stpfl. ist am Konsultationsverfahren daher nicht beteiligt.

Die Vorschrift enthält keinen Einigungszwang, ist also kein Schiedsverfahren. Ein Konsultationsverfahren kann also auch ohne Einigung beendet werden.

Die Verhandlungen werden entsprechend Art. 25 Abs. 4 OECD-MA von den Finanzbehörden der beteiligten Staaten direkt geführt, also nicht auf dem diplomatischen Weg über die jeweiligen Außenministerien. Zuständig ist das BMF bzw., nach Delegation nach § 5 Nr. 5 FVG, das BZSt.

Die Verständigungsvereinbarung ist eine Vereinbarung zwischen den Behörden der beteiligten Staaten. Sie enthält die Ansicht der beiden Finanzverwaltungen, wie eine bestimmte Vorschrift des DBA auszulegen ist. Sie hat keine Gesetzeskraft und bindet daher wohl die Verwaltungsbehörden, nicht aber die Stpfl. und die Gerichte. Soweit die Konsultationsvereinbarung eine zutreffende Auslegung des DBA enthält, wird sie auch von den Gerichten beachtet. Enthält sie dagegen eine für den Stpfl. ungünstige Abweichung vom DBA, ist sie wirkungslos.[1] Um Rechtswirkung zu erhalten, werden die Konsultationsvereinbarungen daher nach § 2 Abs. 2 AO durch Rechtsverordnungen in innerstaatliches Recht umgesetzt.[2]

[2] Z. B. Rechtsverordnungen v. 20.12.2010, BStBl I 2011, 102ff. zu den Konsultationsvereinbarungen nach den DBA mit den USA, Belgien, Frankreich, Niederlanden, Österreich und der Schweiz.

3 Praxisfragen

Ob die Umsetzung der Konsultationsvereinbarungen in innerstaatliches Recht durch Rechtsverordnungen rechtlich wirksam ist, ist umstritten. Grundsätzlich können Gesetze, zu denen auch DBA gehören, durch Rechtsverordnungen konkretisiert werden. Dies bindet auch die Stpfl. und die Gerichte. Dazu ist aber nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG eine gesetzliche Ermächtigung erforderlich, die nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmt ist. Die Rechtsverordnung darf daher nur das ausführen, was in dem Gesetz, d. h. dem DBA, bereits vorgebildet ist. Ob § 2 Abs. 2 AO diese Voraussetzung erfüllt, ist zweifelhaft, m. E. zu verneinen. Nach dieser Vorschrift dient die Rechtsverordnung der Sicherung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und der Vermeidung einer Doppelbesteuerung sowie einer doppelten Nichtbesteuerung. Damit ist der Zweck der Rechtsverordnung zur Umsetzung einer Konsultationsvereinbarung ausreichend bestimmt umschrieben. Dagegen enthält § 2 Abs. 2 AO keine Ausführungen zu Inhalt und Ausmaß der Rechtsverordnung. Die Definition der Konsultationsvereinbarung in § 2 Abs. 2 S. 2 AO geht nicht über die sehr allgemeine Definition in Art. 26 Abs. 3 OECD-MA hinaus. Damit sind der Inhalt der Rechtsverordnung und ihr Ausmaß vollständig unbestimmt. Es ist auch nicht zu sehen, wie die Ermächtigungsgrundlage angesichts der alle Einkunftsarten umfassenden Möglichkeit, Konsultationsvereinbarungen abzuschließen, konkreter gefa...

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