Leitsatz

1. Bei der Prüfung der Frage, ob ein behindertes Kind mit den ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln seinen gesamten notwendigen Lebensbedarf (Grundbedarf und behinderungsbedingten Mehrbedarf) bestreiten kann, ist die Eingliederungshilfe als Leistung eines Dritten sowohl auf der Mittel- als auch auf der Bedarfsseite anzusetzen. Sie wirkt sich im Ergebnis deshalb nur in Höhe eines als Sachbezug zu erfassenden Verpflegungswerts aus.

2. Im Fall einer teilstationären Unterbringung kann der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 3 EStG nicht zusätzlich zu den Leistungen der Eingliederungshilfe als behinderungsbedingter Mehrbedarf angesetzt werden (Bestätigung der BFH, Urteile vom 24.8.2004, VIII R 50/03, BFHE 207, 250, BStBl II 2010, 1052 und VIII R 90/03, BFH/NV 2005, 332).

3. Bei einem behinderten Kind mit dem Merkzeichen "H" ist es offensichtlich, dass für die Zeit außerhalb der teilstationären Unterbringung ein weiterer behinderungsbedingter und ggf. zu schätzender Mehrbedarf anfällt. Dies gilt nicht nur, wenn das Kind noch im elterlichen Haushalt untergebracht ist, sondern gleichermaßen, wenn es in einem eigenen Haushalt lebt und dort versorgt, betreut und unterstützt wird.

 

Normenkette

§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, § 33b Abs. 3 und Abs. 6 Sätze 3 und 4 EStG, § 2 Abs. 6 SvEV

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist die Mutter eines 1973 geborenen Sohnes M, der seit seinem 7. Lebensjahr an einer schweren Epilepsie leidet (GdB 100, Merkzeichen "G", "B", "RF" sowie "H"). M lebt in einer eigenen Wohnung, wo er von seinen Eltern versorgt und unterstützt wird. Er ist bei einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig und erhält insoweit Eingliederungshilfen, ein Arbeitsentgelt von monatlich 152,28 EUR sowie eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 557,35 EUR.

Den Antrag auf Kindergeld für den Zeitraum ab Januar 2008 lehnte die Familienkasse ab.

Das Niedersächsische FG (Urteil vom 6.5.2009, 15 K 446/08, Haufe-Index 2529537) gab der Klage statt …

 

Entscheidung

… und der BFH wies die Revision der Familienkasse als unbegründet zurück, weil M behinderungsbedingt zum Selbstunterhalt außerstande war.

 

Hinweis

1. Volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen Behinderung außerstande sind, sich selbst zu unterhalten, werden – ohne Altersgrenze – berücksichtigt. Dabei bleibt es auch nach dem ab Vz 2012 geltenden Recht.

2. Während der Grenzbetrag für Kinder in der Ausbildung, einer Übergangszeit, einer Wartezeit oder einem privilegierten Dienst (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG) entfallen ist, dürfen die Einkünfte und Bezüge behinderter Kinder auch ab Vz 2012 nicht den Betrag erreichen, der zur Bestreitung des allgemeinen Lebensbedarfs zuzüglich des individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarfs erforderlich ist. Für den allgemeinen Lebensbedarf wurde bisher der Grenzbetrag angesetzt, künftig dürfte er nach dem zeitanteiligen Grundfreibetrag zu bestimmen sein. Der behinderungsbedingte Mehrbedarf kann konkret dargelegt werden (z.B. zusätzliche Wäsche, Unterstützungs- und Hilfeleistungen, typische Erschwernisaufwendungen), anderenfalls ist der Behinderten-Pauschbetrag anzusetzen.

3. Zu den Einkünften und Bezügen des behinderten Kindes gehören auch Leistungen des Sozialleistungsträgers für die Kosten der Unterbringung in einer beschützenden Werkstatt. Diese im Rahmen der Eingliederungshilfe getragenen Kosten sind aber zugleich auch als behinderungsbedingter Mehrbedarf anzusetzen und wirken sich damit im Ergebnis nur in Höhe des als Sachbezug zu erfassenden freien Essens aus. Der Sachbezug kann mit dem Monatswert der Sozialversicherungsentgeltverordnung bewertet werden, das waren im Streitjahr für das Mittagessen 80 EUR je Monat. Er ist zu kürzen, wenn die Verpflegung nicht an allen Tagen zur Verfügung gestellt wird.

4. Bei teilstationärer Unterbringung kann der Behinderten-Pauschbetrag nicht zusätzlich zu den Leistungen der Eingliederungshilfe für die Werkstattunterbringung angesetzt werden. Hilflose Kinder haben aber weiteren behinderungsbedingten Mehrbedarf, da sie auch außerhalb der Werkstatt Betreuung und Hilfeleistungen benötigen. Dies gilt sowohl bei Unterbringung im Haushalt der Eltern als auch in einer eigenen Wohnung. Dieser zusätzliche Mehrbedarf ist, wenn die dafür angefallenen Kosten nicht nachgewiesen werden, zu schätzen (§ 162 AO).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 9.2.2012 – III R 53/10

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