Leitsatz

* Nimmt der Träger der Sozialhilfe die Familienkasse auf Erstattung erbrachter Sozialleistungen nach § 74 Abs. 5 EStG 1996 (nunmehr: § 74 Abs. 2 EStG) i.V.m. § 104 SGB X in Anspruch, kann die Familienkasse einwenden, dass die Festsetzung von Kindergeld bestandskräftig abgelehnt worden sei. Im Erstattungsverfahren besteht jedenfalls dann eine Bindung an die bestandskräftige ablehnende Entscheidung, wenn diese nicht offensichtlich fehlerhaft ist.

* Leitsatz nicht amtlich

 

Normenkette

§ 74 Abs. 2 EStG § 104 SGB X, § 40 Abs. 1 FGO

 

Sachverhalt

Kläger war das Landratsamt als Träger der Sozialhilfe. Es hatte der Tochter Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt, weil diese von den Eltern keinen Unterhalt erhalten hatte. Der Beklagte hatte den Kindergeldbescheid aufgehoben, weil die Einkünfte und Bezüge der Tochter den Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten hätten. Der Bescheid, den der Kläger mit Einspruch angefochten hatte, wurde bestandskräftig.

Einige Monate später erhob der Kläger Klage, mit der er die Zahlung von Kindergeld für die Tochter an sich begehrte. Das FG wies die Klage ab. Der Beklagte habe gegenüber dem Kläger bestandskräftig entschieden, dass ein Kindergeldanspruch nicht bestehe. Dieser könne deshalb keinen Erstattungsanspruch mehr geltend machen (EFG 2001, 1561).

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte das Urteil des FG. Zwar stehe dem Kläger grundsätzlich ein Erstattungsanspruch gegen den Beklagten zu. Dieser könne auch ohne Vorverfahren im Weg der Leistungsklage geltend gemacht werden, weil das Kindergeld unabhängig davon auf die Sozialhilfe anzurechnen sei, dass es seit dem JStG 1996 nicht nur eine Sozialleistung sei, sondern auch der Förderung der Familie diene.

Der Kläger könne jedoch den Anspruch nicht mehr geltend machen. Er müsse die bindende Versagung der Leistung durch den Beklagten respektieren, solange diese nicht offensichtlich fehlerhaft sei. Dafür sei hier nichts ersichtlich.

 

Hinweis

Das Urteil VIII R 88/01 ergänzt das Urteil VIII R 50/01 (BFH-PR 2002, 328) um einen häufig vorliegenden Sachverhalt. In beiden Fällen hatten die Eltern dem Kind keinen Unterhalt bezahlt. Während aber im Fall VIII R 50/01 das Kind Anspruch auf das Kindergeld erhob, war es im vorliegenden Fall das Landratsamt, das dem Kind als Träger der Sozialhilfe Unterhalt gewährt hatte. Ihm stand deshalb ein Erstattungsanspruch gegen die Familienkasse zu (§ 74 Abs. 5 – jetzt § 74 Abs. 2 – EStG i.V.m. § 104 SGB X).

Das Problem liegt imVerhältnis diesesErstattungsanspruchszumKindergeldanspruch. Die Familienkasse ist vorrangig vor dem Träger der Sozialhilfe verpflichtet (Systemsubsidiarität). Dieser wird die Sozialhilfe also entsprechend kürzen, wenn das Kindergeld gewährt wird. Wie ist es aber, wenn die Familienkasse den Kindergeldanspruch abgelehnt hat? Kann dann der Träger der Sozialhilfe im Rahmen des Erstattungsanspruchs diese Frage nochmals zur Entscheidung stellen?

In diesem Streit hat bereits das BSG erste Pflöcke eingeschlagen: Es verwies darauf, dass die Sozialleistungsträger in einem auf Aufgabenteilung beruhenden System der Sozialleistungen gem. § 86 SGB X zur engen Zusammenarbeit verpflichtet seien (vgl. BSG, Urteil vom 12.5.1999, B 7 AL 74/98 R, BSGE 84, 80). Daraus ergebe sich, dass die eine Behörde die Entscheidung der anderen akzeptieren müsse, sich also der Erstattungsanspruch grundsätzlich nicht mehr nach den Voraussetzungen des materiell rechtlichen Anspruchs (hier: Kindergeldanspruch) bestimmt.

Jedenfalls könne der vorrangige Leistungsträger (hier: Familienkasse) gegen den Erstattungsberechtigten (hier: Sozialhilfeträger) alle Einwendungen geltend machen, die ihm gegen den Leistungsberechtigten (hier: die Eltern als Kindergeldberechtigte) zustünden, ggf. auch auf die Bestandskraft des Leistungsbescheids oder auf die Rechtskraft eines Urteils verweisen. Das seiausnahmsweise nur bei offensichtlicher Fehlerhaftigkeit des Leistungsbescheids anders.

Der BFH hat sich dieser Rechtsprechung für das Verhältnis von Familienkasse zu Sozialhilfeträger angeschlossen. Konsequent weitergedacht wird es dabei aber nicht bleiben können. Es liegt vielmehr nahe, diese Grundsätze auch in anderen Fällen anzuwenden, also etwa bei den Erstattungsansprüchen gegen die Familienkasse aus Leistungen der Kriegsopferversorgung oder der Ausbildungsförderung etc.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 14.5.2002, VIII R 88/01

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