Leitsatz

Die Verletzung der steuerlichen Mitwirkungspflichten durch den Insolvenzverwalter kann dazu führen, dass ihm im Rahmen des § 82 InsO eine Berufung auf die Zurechnung des Wissens des ehemals örtlich zuständigen Finanzamts von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwehrt ist.

 

Normenkette

§§ 80, 82 InsO, § 173 Abs. 1, § 9 Abs. 1 AO

 

Sachverhalt

Über das Vermögen des X (Insolvenzschuldner) wurde am 31.1.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet. Nach einem Wohnsitzwechsel reichte der Insolvenzschuldner Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2003 bis 2006 beim nunmehr zuständigen FA ein und erklärte ausschließlich Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit. Die daraufhin erlassenen Steuerbescheide führten zu Steuererstattungen, die das FA dem Insolvenzschuldner auskehrte.

2008 verlangte der Insolvenzverwalter (Kläger) vom FA die (nochmalige) Zahlung der Erstattungsbeträge. Wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens habe das FA nicht mit befreiender Wirkung an den Insolvenzschuldner leisten können.

Das FA berief sich auf § 82 InsO und erließ Abrechnungsbescheide, welche die Erstattungsansprüche als durch Zahlung erloschen auswiesen.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG urteilte, die Zahlung an den Insolvenzschuldner habe gemäß § 47 AO i.V.m. § 224 Abs. 3 AO zum Erlöschen der Erstattungsansprüche geführt. Gemäß § 82 InsO hätte nur die positive Kenntnis des FA von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die schuldbefreiende Wirkung der Zahlung ausgeschlossen. Das FA müsse sich nicht die (nicht ausdrücklich festgestellte, aber wohl vorhandene) Kenntnis des vorher zuständigen FA vom Insolvenzverfahren zurechnen lassen (FG des Saarlandes, Urteil vom 13.3.2013, 2 K 1499/09, Haufe-Index 4715668, EFG 2013, 1199).

 

Entscheidung

Aus den in den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen hat der BFH die Revision des Klägers zurückgewiesen.

 

Hinweis

Wer eine Verbindlichkeit gegenüber einem Gläubiger erfüllen will, über dessen Vermögen das In­solvenzverfahren eröffnet worden ist, muss an ­den Insolvenzverwalter leisten, weil der Insolvenzschuldner über sein Vermögen nicht verfügen, also auch keine Leistungen seiner Schuldner entgegennehmen darf (§ 80 Abs. 1 InsO). Wird zur Erfüllung der Verbindlichkeit an den Insolvenzschuldner geleistet, wird der Leistende nach § 82 InsO gleichwohl befreit, wenn er im Zeitpunkt der Leistung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht kannte. Nach ständiger Rechtsprechung schließt nur positive Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, nicht aber fahrlässige – auch nicht grob fahrlässige – Unkenntnis den Gutglaubensschutz nach dieser Vorschrift aus (vgl. BFH, Urteil vom 12.7.2011, VII R 69/10, BFHE 234, 114, BFH/NV 2011, 1936).

Im vorliegenden Fall hatte der Insolvenzschuldner seinen Wohnsitz in den Zuständigkeitsbereich eines anderen FA verlegt, das – anders als das bisher zuständige FA – von der Insolvenzeröffnung keine Kenntnis hatte und dem Insolvenzschuldner einen Steuererstattungsbetrag auszahlte. Der BFH hatte zu entscheiden, ob dies nach § 82 InsO mit befreiender Wirkung geschehen war.

Nach der BFH-Rechtsprechung zu § 173 AO, die auch für § 82 InsO herangezogen wird, kommt es auf den Kenntnisstand derjenigen Personen an, die innerhalb der zuständigen Finanzbehörde zur Bearbeitung des Steuerfalls berufen sind (vgl. BFH, Urteil vom 13.1.2011, VI R 63/09, BFH/NV 2011, 743, m.w.N.). Im Streitfall hatte aber der zuständige Sachbearbeiter von der Insolvenzeröffnung nichts gewusst.

Als der zuständigen Dienststelle bekannt gelten außerdem der Inhalt der dort geführten Akten und sämtliche Informationen, die dem Sachbearbeiter von vorgesetzten Dienststellen über ein elektronisches Informationssystem zur Verfügung gestellt werden, ohne dass es insoweit auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters ankommt (BFH, Urteile vom 13.1. 2011, VI R 61/09, BFHE 232, 5, BStBl II 2011, 479, BFH/NV 2011, 743; vom 13.6.2012, VI R 85/10, BFHE 238, 295, BStBl II 2013, 5). Im Streitfall lagen dem FA die Steuerakten des bisher zuständigen FA jedoch nicht vor.

Zwar gibt es eine immer wieder zitierte BFH-Rechtsprechung, der zufolge eine einmal bekannt ge­wordene Tatsache nicht durch einen Wechsel der Zuständigkeit der Finanzbehörde und/oder einen Wechsel des Bearbeiters wieder unbekannt werden kann. Schaut man sich die betreffende Entscheidung (BFH, Urteil vom 15.10.1993, III R 74/92, BFH/NV 1994, 315) genau an, stellt man indes fest, dass der ihr entnommene und zitierte Kernsatz zu Missverständnissen führen kann, weil er nicht erkennen lässt, dass in jenem Fall des III. Senats die alten Steuerakten dem neu zuständig gewordenen Finanzamt vorlagen. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall.

Im Streitfall stellte sich somit die Frage, ob der Gutglaubensschutz nach § 82 InsO entfiel, weil das neu zuständig gewordene FA die alten Steuerakten des bisher zuständigen FA, die einen Hinweis auf die Insolvenzeröffnung (offenbar) enthielten, nicht beigezogen hatte. Dagegen sprach, dass für eine befreiende Le...

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