Leitsatz

1. Die widerlegbare Vermutung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO setzt voraus, dass die betreffende Körperschaft (hier: ein islamischer Verein) im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes für den zu beurteilenden Veranlagungszeitraum ausdrücklich als extremistisch eingestuft wird (Anschluss an BFH-Urteil vom 11. April 2012, I R 11/11, BFHE 237, 22, BStBl II 2013, 146).

2. Die Widerlegung dieser Vermutung erfordert den vollen Beweis des Gegenteils; eine Erschütterung ist nicht ausreichend.

3. Im Rahmen des § 51 Abs. 3 Satz 1 AO sind die Leistungen des Vereins für das Gemeinwohl nicht im Wege einer Gesamtschau gegen Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche tatsächliche Geschäftsführung abzuwägen.

 

Normenkette

§ 51 Abs. 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 und Abs. 2 AO, Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG, § 118 Abs. 2, § 155 FGO, § 292 ZPO, § 4 BVerfSchG

 

Sachverhalt

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, der nach seiner Satzung insbesondere die Ziele verfolgt, die Vermittlung und Wahrnehmung von richtigen und sachbezogenen Informationen über die Islamische Religion sowie die deutsche Sprache und Kultur bei ausländischen Mitbürgern im Interesse der Integration und Akkulturation in die deutsche Gesellschaft zu fördern.

Nachdem das FA erfahren hatte, dass der Kläger in den Verfassungsschutzberichten des Bundes für 2009 und 2010 namentlich erwähnt und seine Stellung innerhalb des Islamismus erläutert wird, widerrief es am 25.8.2011 die Anerkennung der Gemeinnützigkeit. Gegen die Körperschaftsteuerbescheide 2009 und 2010 sowie gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2009 legte der Kläger erfolglos Einspruch und Klage ein.

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Danach hat das FG zu Recht entschieden, dass der Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Gemeinnützigkeit nicht erfüllt. Die Vermutung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO sei nicht widerlegt worden.

 

Hinweis

1. Nach § 51 Abs. 1 und Abs. 3 AO setzt die Steuervergünstigung u.a. voraus, dass die Körperschaft nach ihrer Satzung und bei ihrer tatsächlichen ­Geschäftsführung keine Bestrebungen i.S.d. § 4 BVerfSchG fördert und dem Gedanken der Völkerverständigung nicht zuwiderhandelt. Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satz 1 nicht erfüllt sind (§ 51 Abs. 3 Satz 2 AO).

2. Dieser Tatbestand verlangt nur, dass die betreffende Körperschaft in einem Verfassungsschutzbericht "als extremistische Organisation aufgeführt" ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn sie dort ausdrücklich als extremistisch bezeichnet wird, nicht aber, wenn die Körperschaft nur als Verdachtsfall oder sonst beiläufig Erwähnung findet.

Wird ein Verein in den Verfassungsschutzberichten des Bundes und eines Bundeslandes ausdrücklich als extremistisch bezeichnet, ohne dass er verwaltungsgerichtlich gegen diese Benennung vorgegangen ist, liegen die Voraussetzungen von § 51 Abs. 3 Satz 2 AO vor. Die Nennung in den Verfassungsschutzberichten begründet die widerlegbare gesetzliche Vermutung, dass extremistische Bestrebungen gefördert werden und dem Gedanken der Völkerverständigung zuwidergehandelt wird. Die gesetzliche Vermutung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO führt zu einer Umkehr der objektiven Beweislast (Feststellungslast). Es hat dann die die Steuervergünstigung begehrende Körperschaft nachzuweisen, dass sie gleichwohl keine extremistischen Ziele fördert.

3. Im Rahmen von § 51 Abs. 3 Satz 1 AO sind die Leistungen eines Vereins für das Gemeinwohl nicht im Wege einer Gesamtschau gegen Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche tatsächliche Geschäftsführung abzuwägen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 14.3.2018 – V R 36/16

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