Leitsatz

Ist der Organträger Geschäftsführer einer von der Insolvenz bedrohten Organgesellschaft und wird dieser nach Beantragung des Insolvenzverfahrens kein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, bleibt die Organschaft regelmäßig bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhalten. Dies gilt auch dann, wenn das Insolvenzgericht gem. § 21 Abs. 2 2. Alternative InsO anordnet, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind.

 

Normenkette

§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG , § 21 InsO , § 22 InsO

 

Sachverhalt

Der Kläger war alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH und hatte der GmbH ein Betriebsgrundstück vermietet. Die Voraussetzungen einer Organschaft § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG lagen vor.

Im Februar1999 wurde die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH beantragt. Das AG ordnete die vorläufige Verwaltung des Vermögens nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO und u.a. an, dass Verfügungen der GmbH der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters bedurften. Der vorläufige Insolvenzverwalter sei nicht allgemeiner Vertreter der Schuldnerin.

Das FA teilte nicht die Auffassung des Klägers, die Organschaft sei schon im Februar beendet. Damit hatte er auch beim FG keinen Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH teilte die Auffassung des FG, dass bei einem "schwachen" vorläufigen Insolvenzverwalter die Organschaft noch nicht endet.

 

Hinweis

Wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt, stellt sich die Frage, ob die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters das Ende der organisatorischen Eingliederung i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 bedeutet. Hier ist zu unterscheiden zwischen dem

  • "starken" vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den infolge eines allgemeinen Verfügungsverbots die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergeht, und dem
  • "schwachen" vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners nicht übergeht.

Die von einem "starken" vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Verbindlichkeiten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelten als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO). Bei Rechtsstreiten, die das Vermögen des Schuldners betreffen, wird das Verfahren nach § 240 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) unterbrochen, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht.

Bei dem sog. schwachen Insolvenzverwalter treten diese Rechtsfolgen nicht ein. Dementsprechend bleibt die Organschaft bei Einsetzung eines schwachen Insolvenzverwalters regelmäßig bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhalten. Dies gilt auch dann, wenn das Insolvenzgericht gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative InsO anordnet, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. In diesem Fall sind zwar Verfügungen des Schuldners ohne die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters grundsätzlich unwirksam (vgl. § 24 Abs. 1, § 81 InsO); andererseits kann aber auch der vorläufige Insolvenzverwalter grundsätzlich nicht (allein) über das Vermögen des Schuldners verfügen; Schuldner und vorläufiger Insolvenzverwalter haben eine vergleichbar starke Stellung; gleichwohl ist der vorläufige Insolvenzverwalter als "Berater" des Schuldners anzusehen.

Die organisatorische Eingliederung besteht aber auch dann noch fort, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter eine vergleichbar starke Stellung wie der Organträger erhält, solange ihm (dem vorläufigen Insolvenzverwalter) eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft nicht möglich ist. Zur Annahme einer Organschaft ist nämlich nicht erforderlich, dass alle drei Eingliederungsmerkmale (die finanzielle, die wirtschaftliche und die organisatorische Eingliederung) in gleicher Weise stark ausgebildet sind. Tritt auf einem der drei Gebiete die Eingliederung weniger stark in Erscheinung, so hindert dies nicht, trotzdem Organschaft anzunehmen, wenn sich die Eingliederung deutlich auf den beiden anderen Gebieten zeigt (BFH, Urteile vom 22.6.1967, V R 89/66, BStBl III 1967, 715; vom 16.8.2001, V R 34/01, BFH/NV 2002, 223).

Die Rechtsprechung zur Sequestration, wonach es von den Umständen des Einzelfalls abhängig sei, ob dem Sequester eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft möglich ist, kann nicht ohne weiteres auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen werden.

Erscheint eine Beiladung des Insolvenzverwalters – die nicht i.S.d. § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO "notwendig" ist – zweckmäßig, muss diese im FG-Verfahren beantragt werden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 1.4.2004, V R 24/03

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