Leitsatz

Im Insolvenzverfahren ist der Umsatzsteuer-Vergütungsanspruch aus der freigegebenen selbstständigen gewerblichen Tätigkeit mit Steuerschulden, die vor der Insolvenzeröffnung begründet wurden, zu verrechnen. Die insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbote stehen einer Aufrechnung zwischen den Vermögensmassen nicht entgegen.

 

Sachverhalt

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin meldete das Finanzamt - zwischenzeitlich festgestellte - Steuerforderungen i. H. v. 57.388 Euro zur Tabelle an. Am 2.7.2009 teilte der Insolvenzverwalter mit, dass das Vermögen der Klägerin aus ihrer selbständigen (gewerblichen) Tätigkeit (M) nicht zur Insolvenzmasse gehöre und dass Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden könnten.

Nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter erteilte das Amtsgericht die Restschuldbefreiung. Aus der vom Insolvenzverwalter freigegebenen gewerblichen Tätigkeit ergaben sich Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche für 2010 bis 2012 von insgesamt 5.690 Euro. Diese rechnete das Finanzamt mit den o.g. vor Insolvenzeröffnung begründeten Steuerrückständen der Klägerin auf.

Mit ihrem Einspruch gegen die o. g. Aufrechnung machte die Klägerin geltend, nach dem BFH-Urteil vom 25.7.2012 VII R 29/11 sei eine Aufrechnung mit Insolvenzforderungen nicht zulässig. Im Übrigen bestreite sie, dass die zur Begründung der Verrechnung angeführten Steuerschulden entstanden seien.

 

Entscheidung

Der o. g. Abrechnungsbescheid des Finanzamts ist nach Auffassung des Finanzgerichts Baden-Württemberg rechtmäßig.

Ein durch freigegebene Tätigkeit erworbener Umsatzsteuer-Vergütungsanspruch fällt nicht in die Insolvenzmasse (vgl. BFH-Beschluss v. 6.3.2014 VII S 47/13). Diesem Vergütungsanspruch standen "vorinsolvenzliche" Steuerforderungen des Finanzamts nach § 38 InsO vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entgegen. Maßgeblich zur Abgrenzung von Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten ist der Zeitpunkt, zu dem der den Steueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Nicht maßgeblich ist lediglich der Zeitpunkt der Steuerentstehung, so z. B. nach § 13 UStG (BFH, Beschluss v. 11.7.2013 XI B 41/13). Der Finanzamt durfte daher mit diesen "vorinsolvenzlichen" Forderungen aufrechnen.

Die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung (§§ 226 Abs. 1 AO, 387 ff. BGB, 94 InsO) lagen im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung vor. Die zur Aufrechnung gestellte Geldforderung war wirksam, fällig und erzwingbar sowie die Hauptforderung erfüllbar. Im Streitfall wurden die festgesetzten Steuern wirksam zur Insolvenztabelle angemeldet und gemäß § 201 Abs. 2 S. 1 InsO gegenüber der Klägerin wirksam. Alleiniger Rechtsträger blieb der Insolvenzschuldner. Das Finanzamt hat ferner zu Recht die Aufrechnung gegenüber der Klägerin als Insolvenzschuldnerin erklärt. Denn die Hauptforderung, gegen die jeweils aufgerechnet wird, fällt nicht unter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Sie gehört zum insolvenzfreien Vermögen i. S. d. § 35 Abs. 2 InsO (vgl. BFH, Urteil v. 26.11.2014 VII R 32/13).

Auch die insolvenzrechtliche strukturelle Unterscheidung zweier Vermögensmassen begründe kein allgemeines Verbot, Ansprüche der einen Vermögensmasse gegen Forderungen, die in die andere fallen, zu verrechnen (BFH, Beschluss 23.8.2011 VII B 8/11). § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO erklärt eine Aufrechnung nur dann für unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Jedoch ist das Finanzamt indes den von der Klägerin erworbenen USt-Vergütungsanspruch nicht zur Insolvenzmasse schuldig geworden, da der Insolvenzverwalter die von der Klägerin während des Insolvenzverfahrens ausgeführte gewerbliche Tätigkeit erworbenen Ansprüche aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben hat.

 

Hinweis

Das Finanzgericht hat die Revision zugelassen, da nach Auffassung des BFH (Urteil vom 9.12.2010 V R 22/10, bezogen auf die Verrechnung von Insolvenzforderungen mit Masseverbindlichkeiten) ein Unternehmen nach Verfahrenseröffnung trotz dem Grundsatz der Unternehmereinheit aus mehreren Unternehmensteilen besteht, zwischen denen einzelne, umsatzsteuerliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können. Auch mit Urteil vom 24.2.2015, VII R 27/14 sprach sich der BFH für eine Trennung der insolvenzrechtlichen Vermögensbereiche (bezogen auf die Einkommensteuer und die Verrechnung von Masseverbindlichkeiten) aus. Infolgedessen hält es das Finanzgericht nicht für ausgeschlossen, dass im Streitfall (zwischenzeitlich) die insolvenzrechtliche strukturelle Unterscheidung der Vermögensmassen einer Aufrechnung entgegensteht.

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Link zur Entscheidung

FG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.07.2015, 1 K 732/14

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