Leitsatz

Dem Großen Senat wird gem. § 11 Abs. 4 FGO folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist das FA im Rahmen der ertragsteuerlichen Gewinnermittlung in Bezug auf zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung ungeklärte bilanzrechtliche Rechtsfragen an die Auffassung gebunden, die der vom Steuerpflichtigen aufgestellten Bilanz zugrunde liegt, wenn diese Rechtsauffassung aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns vertretbar war?

 

Normenkette

§ 5 Abs. 1 S. 1 und Abs. 5 S. 1 Nr. 1 EStG 1990

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, betreibt ein Mobilfunkunternehmen. Im Streitjahr (1996) bot sie ihren Kunden den verbilligten Erwerb eines Mobiltelefons für den Fall an, dass diese einen Mobilfunkdienstleistungsvertrag (MFD-Vertrag) mit einer Laufzeit von mindestens 24 Monaten abschlossen oder einen bestehenden Vertrag entsprechend verlängerten. Die Preisermäßigung für das Mobiltelefon war von dem Hersteller und dem Gerätetyp sowie von der Höhe der monatlichen Grundgebühren im Rahmen des abgeschlossenen MFD-Vertrags abhängig.

Das FA war der Auffassung, zwischen den MFD-Verträgen und den Kaufverträgen über die Mobiltelefone bestehe eine wirtschaftlich enge Verknüpfung i.S.v. Vertragsbündelungen. Die durch die verbilligte Abgabe entstandene Betriebsvermögensminderung sei daher gem. § 5 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 EStG im Rahmen eines aktiven Rechnungsabgrenzungspostens (RAP) periodengerecht über die Laufzeit des MFD-Vertrags abzugrenzen.

Die deswegen erhobene Klage hat das FG Düsseldorf (Urteil vom 20.05.2008, 6 K 3224/05 K,F, Haufe-Index 2030252, EFG 2008, 1607) als unbegründet abgewiesen.

 

Entscheidung

Der I. Senat beabsichtigt, in einer Endentscheidung dem FA und dem FG zu folgen; es sei ein aktiver RAP für die verbilligte Abgabe der Mobilfunkgeräte zu bilden.

Jedoch sei es im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung "subjektiv" in Einklang mit den GoB gut vertretbar gewesen, anderes anzunehmen. Und so gesehen sei das FA eigentlich daran gehindert, nun im Nachhinein im Rahmen einer Betriebsprüfung die Bilanzansätze zu ändern. Dieses Ergebnis "schmeckt" dem I. Senat aber nicht, und deshalb hat er jetzt den Großen Senat des BFH zu einer Grundsatzantwort angerufen.

 

Hinweis

1. Der I. Senat des BFH hat den Großen Senat des BFH zur Klärung einer bilanzsteuerrechtlichen Grundsatzfrage angerufen, die der Praxis "auf den Nägeln brennt":

a) Für die Beurteilung, ob eine beim FA eingereichte Bilanz "fehlerhaft" in dem Sinn ist, dass sie vom Steuerpflichtigen nachträglich berichtigt werden kann, gilt nach der Rechtsprechung des BFH ein subjektiver Maßstab, der sog. subjektive Fehlerbegriff.

Maßgeblich ist danach grundsätzlich der Kenntnisstand eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns zum Bilanzstichtag. Das hat zur – dem Steuerpflichtigen durchweg nachteiligen – Folge, dass er eine Steuerbilanz nicht nachträglich (gem. § 4 Abs. 2 S. 1 EStG) berichtigen darf, wenn er erst nach Aufstellung der Bilanz ansatzbeeinflussende Tatsachenerkenntnisse erlangt, etwa zu der Bonität einer aktivierten Forderung. Dasselbe gilt bislang für Rechtsfragen: Der Steuerpflichtige kann nicht von einem ihm an sich günstigen höchstrichterlichen Urteil profitieren, dass nach Bilanzaufstellung ergeht – das jedenfalls solange und soweit nicht, wie sich der von ihm zunächst gewählte Bilanzansatz im Rahmen eines vertretbaren Verständnisses der GoB bewegt hat. Er hätte vielmehr "aktiv" ein Prozessverfahren betreiben müssen, um eine höchstrichterlich bis dato noch ungeklärte Bilanzierungsfrage in seinem Sinn durchzufechten. "Trittbrettfahren" ist hingegen nicht möglich, auch dann nicht, wenn die betreffenden Steuerbescheide unter Vorbehaltsvermerk stehen.

Die Finanzverwaltung ist dieser Spruchpraxis gefolgt (R 4.4 Abs. 1 S. 1 bis 5 EStR 2009; BMF, Schreiben vom 11.03.2008, BStBl I 2008, 496). Ihr genügt es allerdings, wenn der Steuerpflichtige seine gegenteilige Rechtsauffassung durch Zusätze oder Vermerke bei Bilanzaufstellung dokumentiert hat.

b) Streng genommen gilt Gleiches auch in umgekehrter Richtung zulasten der Finanzverwaltung: Akzeptiert diese unter den beschriebenen Umständen (zunächst) einen vom Steuerpflichtigen "subjektiv" gewählten Bilanzansatz und bewegt sich dieser Ansatz im Rahmen des objektiv Vertretbaren, dann ist es ihr versagt, später – etwa bei einer Betriebsprüfung – Gegenteiliges anzunehmen und sich auf eine jetzt ihr günstige (und dem Steuerpflichtigen nachteilige), zwischenzeitlich vorliegende Rechtsprechung des BFH zu berufen.

c) Das alles gilt bislang sowohl für Tat- als auch für Rechtsfragen. Und daran knüpft die Grundsatzanrufung des I. Senats nun an:

Er will zwar prinzipiell an dem (auch als solchen nicht ganz unumstrittenen) subjektiven Fehlerbegriff festhalten. Er will diesen jedoch auf reine Tatfragen verengen. Tragende Gründe dafür sind ihm (u.a.):

  • Gerade bei Rechtsfragen entscheidet im (Steuer-)Eingriffsrecht die objektive Rechtslage und damit ein objektiver Beurteilungsmaßstab.
  • Andernfalls ergibt sich ein Quasi-Wahlrecht des Steuerpfl...

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