Leitsatz

Ein verbleibender Verlustvortrag ist auch dann erstmals gemäß § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG gesondert festzustellen, wenn ein Einkommensteuerbescheid für das Verlustentstehungsjahr wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht mehr erlassen werden kann.

Eine durch § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG angeordnete Bindungswirkung, wonach bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen sind, wie sie der Steuerfestsetzung des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt wird, zugrunde gelegt worden sind, besteht nicht, wenn keine Einkommensteuerveranlagung durchgeführt worden ist.

 

Normenkette

§ 10d Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG, § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2010

 

Sachverhalt

Die Klägerin absolvierte von 2005 bis 2007 eine berufliche Erstausbildung. Einnahmen erzielte sie in diesen Jahren nicht. Im Juni 2012, also nach dem für die Anwendung des neuen Rechts geltenden Stichtag (13.12.2010), gab sie Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre ab, mit denen sie die ihr entstandenen Aufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten geltend machte, und beantragte die gesonderte Feststellung ihrer Werbungskostenüberschüsse. Das FA erließ zunächst die Einkommensteuerbescheide, berücksichtigte darin die Ausbildungsaufwendungen jedoch nur als Sonderausgaben. Die Verlustfeststellung lehnte das FA ab. Der Einspruch der Klägerin führte zur Aufhebung der Einkommensteuerbescheide, da diese nach Eintritt der Festsetzungsfrist erlassen worden waren. Im Übrigen, nämlich wegen der Ablehnung der beantragten Verlustfeststellung, blieb der Einspruch ohne Erfolg. Die nur noch dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das FG (FG Düsseldorf, Urteil vom 7.5.2014, 15 K 14/14 E, F, Haufe-Index 7250701, EFG 2014, 1879) hob die Einspruchsentscheidung auf.

 

Entscheidung

Die dagegen gerichtete Revision des FA hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen. Danach ist die Einspruchsentscheidung rechtskräftig aufgehoben hinsichtlich der Ablehnung der Verlustfeststellung. Wirksam und bestandskräftig ist dagegen die Aufhebung der zunächst erlassenen Einkommensteuerbescheide. Das Verfahren befindet sich mithin wieder im Zustand vor Erlass der Einspruchsentscheidung hinsichtlich der erstmaligen Verlustfeststellung. Eine Bindung an die bestandskräftig aufgehobenen Einkommensteuerbescheide existiert nicht. Das Verfahren ruht nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO im Hinblick auf das beim BVerfG anhängige Normenkontrollverfahren zu der Frage, ob die Kosten der Erstausbildung aus Werbungskosten berücksichtigt werden müssen (Aktenzeichen des BVerfG 2 BvL 22-27/14).

 

Hinweis

1. Die etwas schwer verständliche Regelung in § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG (2010) schafft eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Einkommensteuerbescheid, obwohl der Einkommensteuerbescheid insoweit kein Grundlagenbescheid ist. Die Besteuerungsgrundlagen dürfen im Feststellungsbescheid nur so berücksichtigt werden, wie sie im letzten bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid berücksichtigt wurden. Sind die den Verlust ergebenden Besteuerungsgrundlagen dort (noch) nicht berücksichtigt, muss vorrangig der Einkommensteuerbescheid geändert werden, bevor der Verlust festgestellt werden darf.

2. Nach § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG dürfen die Besteuerungsgrundlagen bei der Feststellung des gesonderten Verlustvortrags nur insoweit abweichend von der Einkommensteuerfestsetzung des Verlustentstehungsjahrs berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt. Ist eine Änderung des Einkommensteuerbescheids unabhängig von der fehlenden betragsmäßigen Auswirkung auch verfahrensrechtlich nicht (mehr) möglich, bleibt es bei der in § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG angeordneten (negativen) Bindungswirkung.

3. Streitig war, ob das auch gilt, wenn ein Einkommensteuerbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist nicht erlassen worden ist. Woran sollte in diesem Fall die Bindung anknüpfen? Der BFH hat sich der Auffassung des FG angeschlossen, dass die in § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG angeordnete Bindungswirkung nur eingreifen kann, wenn ein Einkommensteuerbescheid erlassen worden ist und noch existiert.

a) Nach dem Wortlaut des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG setzt die Bindungswirkung voraus, dass die streitigen Besteuerungsgrundlagen "den Steuerfestsetzungen des Veranlagungszeitraums (...) zugrunde gelegt worden sind". Die Bindungswirkung setzt daher auch voraus, dass eine Einkommensteuerveranlagung (ggf. mit einer festzusetzenden Steuer von 0 EUR) durchgeführt worden ist.

b) Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich nichts anderes. Mit Einfügung der Sätze 4 und 5 in § 10d Abs. 4 EStG wollte der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BFH aushebeln, nach der eine erstmalige Verlustfeststellung auch möglich war, wenn im bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid des Verlustentstehungsjahrs negative Einkünfte nicht berücksichtigt war...

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