Rz. 352

Die Vorschrift ist durch Gesetz v. 7.12.2006[1] mit Wirkung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2005 enden, eingeführt worden.[2]

 

Rz. 353

Die Bedeutung der Neuregelung besteht in einer umfassenden gesetzlichen Regelung der sog. Entstrickung für betriebliche Einkünfte. Bisher enthielt das Gesetz keinen allgemeinen Entstrickungstatbestand. Es gab lediglich einzelne Tatbestände der Gewinnrealisierung, bei deren Vorliegen ein Gewinn auszuweisen und zu versteuern war. Solche Gewinnrealisierungstatbestände waren z. B. die Gewinnrealisierung durch Umsatzakt am Markt aufgrund des Realisationsprinzips, Entnahme für betriebsfremde Zwecke, verdeckte Einlage in eine Körperschaft sowie Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe. Die Entstrickung, d. h. die Verlagerung einzelner steuerverstrickter Wirtschaftsgüter in das Ausland, wodurch diese der Besteuerung im Inland entzogen wurden, wurde regelmäßig von keinem dieser Gewinnrealisierungstatbestände erfasst. Für den Bereich der natürlichen Personen hatte der BFH zwar die "finale Entnahmelehre" vertreten[3], wonach eine gewinnrealisierende Entnahme immer dann vorliegt, wenn die stillen Reserven in dem Wirtschaftsgut der Besteuerung entzogen zu werden drohen. Diese Rechtsprechung sah sich aber grundsätzlichen Bedenken ausgesetzt, da sie den Begriff der "Entnahme" überspannte und einen im Gesetz nicht enthaltenen Gewinnrealisierungstatbestand eingeführt hat.[4]

 

Rz. 353a

Dagegen kann § 4 Abs. 1 S. 3 EStG nicht als allgemeiner Gewinnrealisierungstatbestand angesehen werden, zu dem die einzelnen Gewinnrealisierungstatbestände nur Ausprägungen darstellen. Die Gewinnrealisierungstatbestände folgen dem Realisationsprinzip, auf das der Entstrickungstatbestand nicht zurückgeführt werden kann. Andererseits hat der Aspekt der Sicherung der Besteuerung der stillen Reserven bei den Gewinnrealisierungstatbeständen (z. B. Veräußerung, Tausch) regelmäßig keine Bedeutung, da die stillen Reserven auch bei dem Erwerber steuerverstrickt wären. I. d. S. ist der Entstrickungstatbestand ein besonderer Gewinnrealisierungstatbestand.

 

Rz. 353b

Der Entstrickungstatbestand des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG gilt nur für die betrieblichen Einkunftsarten, nicht für die Überschusseinkünfte. Für diese enthält § 6 AStG einen gegenständlich beschränkten und damit nicht umfassenden Entstrickungstatbestand.

 

Rz. 354

Der Gesetzgeber hatte einen ersten Versuch unternommen, das Problem der Entstrickung allgemein zu lösen, indem § 6 Abs. 5 S. 1 EStG eingeführt wurde. Danach ist bei der Überführung eines einzelnen Wirtschaftsguts von einem Betriebsvermögen des Stpfl. in ein anderes Betriebsvermögen desselben Stpfl. (nur) dann der Buchwert fortzuführen, wenn die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist. Abgesehen von den systematischen Bedenken gegen diese Vorschrift, die nur eine Bewertungsvorschrift, aber kein Gewinnrealisierungstatbestand ist, also nur anwendbar ist, wenn ein Gewinnrealisierungstatbestand verwirklicht wurde, löste diese Vorschrift das Problem der Entstrickung schon deshalb nicht, weil sie mehr als ein Betriebsvermögen desselben Stpfl. voraussetzt. Ein Einzelunternehmer kann zwar mehrere Betriebsvermögen haben, das aber nur, wenn diese Betriebsvermögen keine sachliche, wirtschaftliche Verbindung miteinander haben. Mehrere Betriebsstätten desselben Gewerbebetriebs bilden ein einheitliches Betriebsvermögen, wenn sich aus dem Gesamtbild der Verhältnisse unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen und organisatorischen Zusammenhangs, der Art der wirtschaftlichen Leistung, der Identität des Kunden- und Lieferantenkreises, der Einheitlichkeit der Geschäftsleitung und der Zusammensetzung und Finanzierung des Anlagevermögens die Einheitlichkeit des Gewerbebetriebs ergibt.[5] Das gilt auch, wenn eine dieser Betriebsstätten im Ausland belegen ist. Personengesellschaften können ohnehin nur ein einziges Betriebsvermögen haben.[6] Der Fehler im Gesetzgebungsverfahren lag darin, dass der Begriff "Betriebsvermögen" anstelle des Begriffs "Betriebsstätte" benutzt wurde.

 

Rz. 355

Somit war die Annahme eines allgemeinen Gewinnrealisierungstatbestands aufgrund der finalen Entnahmelehre, der eingreifen konnte, wenn die besonderen Gewinnrealisierungstatbestände, insbesondere Veräußerung, nicht vorlagen, systematisch nicht haltbar.[7] Für die Fälle der Entstrickung ohne Verwirklichung eines besonderen Gewinnrealisierungstatbestands konnte es daher nicht zu einer Gewinnrealisierung und damit zu dem Ausweis eines steuerpflichtigen Gewinns kommen.

 

Rz. 355a

Andererseits bestand ein dringendes Bedürfnis für einen solchen allgemeinen Gewinnrealisierungstatbestand, da sonst die Gefahr bestand, dass in Deutschland angesammelte stille Reserven in einem Wirtschaftsgut (insbesondere bei selbst geschaffenen immateriellen Wirtschaftsgütern, wie Patenten, aber auch hinsichtlich des Firmenwerts) durch Überführung in eine Betriebsstätte in einem niedrig besteuernden Staat der deutschen Besteuerung entzogen werden konnten, wenn di...

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