Rz. 3

Das Steuersystem in Deutschland ist von einem Nebeneinander einer Vielzahl von Steuern gekennzeichnet, die auf gleiche oder zumindest ähnliche Sachverhalte zugreifen. Bei den gewerblichen Einkünften kommt es zu einer Doppelbelastung bei Körperschaften mit KSt und GewSt, während bei Einzelunternehmen und mitunternehmerisch Beteiligten i. S. v. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 EStG wirtschaftlich eine Belastung mit GewSt und ESt erfolgt. Diesen Umstand berücksichtigt der Gesetzgeber bei der KSt durch einen vergleichsweise niedrigen KSt-Satz von 15 %. Bei der ESt gilt – abgesehen von Ausnahmen infolge der Abgeltungsteuer nach § 32d EStG – ein einheitlicher Steuertarif für alle Einkünfte. Dies steht der Anwendung eines Sondertarifs entgegen. § 32c EStG (i. d. F. des StandOG[1] erschien u. a. deswegen als problematisch, weil darin vorgesehen war, dass der auf die gewerblichen Einkünfte anzuwendende Steuersatz ab einem bestimmten – im Laufe der Zeit mehrfach geänderten – Betrag nicht mehr weiter anstieg. Insoweit besteht eine gewisse Parallelität zur Abgeltungsteuer für die Einkünfte aus Kapitalvermögen in § 32d EStG. Zur Abgeltungsteuer hat das FG Nürnberg[2] entschieden, dass dieser Sondertarif nicht verfassungswidrig ist. Zugleich erfolgt damit eine Annäherung an die Besteuerung von Land- und Forstwirten sowie selbstständig Tätigen, die keiner GewSt-Pflicht unterliegen, hinsichtlich der Höhe der insgesamt entstehenden Steuerbelastung. Da § 35 EStG häufig nicht zu einer vollständigen Neutralisierung der Belastung mit GewSt führt, erfolgt jedoch i. d. R. keine Gleichbehandlung.

 

Rz. 4

Der Gesetzgeber hat mit § 35 EStG die Grundkonzeption der Anrechnung ausländischer Steuern gem. § 34c Abs. 1 EStG auf den Inlandsfall übertragen und will damit eine Doppelbelastung vermeiden. Durch konkrete Vorgaben zur Bestimmung der maximal anrechenbaren GewSt[3] soll verhindert werden, dass eine höhere Entlastung erfolgt als durch die Vorbelastung mit GewSt gegeben ist. Dem Charakter der Regelung als Tarifvorschrift trägt deren Zuordnung zum V. Teil des EStG Rechnung. Hierin kommt zum Ausdruck, dass zunächst der reguläre Tarif nach § 32a EStG anzuwenden ist und anschließend eine Ermäßigung zu erfolgen hat.

 

Rz. 5

Der Gesetzgeber gewährt keine vollständige Entlastung von der GewSt. Vielmehr ordnet er dieses Ziel dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung unter. Folglich soll es nicht stets und nicht vollständig zu einer Entlastung von der GewSt kommen. Es ist eine periodenorientierte Betrachtung vorgesehen. Danach führen nicht anrechenbare GewSt-Messbeträge nicht zu einer Entlastung in anderen Vz, sondern können gar nicht genutzt werden.

 

Beispiel: Nicht anrechenbare GewSt-Messbeträge

Im Vz 01 erzielt ein Stpfl. aus seiner Betätigung im Rahmen seines Einzelunternehmens hohe positive Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die seinem Gewerbeertrag entsprechen. Hieraus entsteht eine Belastung mit GewSt. Zugleich ist der Stpfl. an einer Personengesellschaft mitunternehmerisch beteiligt, aus der ihm gleich hohe negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb zuzurechnen sind. Insgesamt betragen seine Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Vz 01 daher "Null". Eine Berücksichtigung der gleichwohl in 01 gezahlten GewSt infolge des positiven Gewerbeertrags im Rahmen des Einzelunternehmens ist nicht möglich, und zwar weder im Rahmen der Besteuerung der Personengesellschaft noch in einem anderen Erhebungszeitraum. Das Fehlen von Regelungen vergleichbar der ertragsteuerlichen Organschaft ist nachteilig, weil keine Möglichkeit besteht, einen Ausgleich des positiven und negativen Gewerbeertrags zu erreichen.

 

Rz. 6

Laut Regierungsbegründung zielt § 35 EStG darauf ab, eine "gleichwertige Entlastung von Personengesellschaften und Einzelunternehmen einerseits und Kapitalgesellschaften andererseits … (Belastungsneutralität)" im Rahmen des Steuersenkungsgesetzes v. 23.10.2000[4] zu schaffen. Dieses Ziel hätte – anders als in der derzeitigen Gesetzesfassung – verlangt, dass ein Mechanismus geschaffen worden wäre, der gewährleistet, dass jegliche GewSt-Belastung zu einer Entlastung bei der ESt führt. Nunmehr treten sehr hohe Steuerbelastungen ein, wenn Einkünfte wirtschaftlich einer Belastung mit GewSt und ESt unterliegen, ohne dass eine Anrechnung nach § 35 EStG erfolgen kann.

 

Rz. 7

Die Bedeutung der Vorschrift hat sich seit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008[5] grundlegend geändert. Seit Vz 2008 ist die GewSt keine Betriebsausgabe mehr[6], sodass sie weder ihre eigene noch die Bemessungsgrundlage der ESt oder KSt mindert. Die Verfassungsmäßigkeit wird vom FG Hamburg bejaht[7]. Hiermit verbunden ist die Notwendigkeit, einen zu starken Anstieg der Gesamtsteuerbelastung infolge der Doppelbelastung mit ESt und GewSt zu vermeiden.

 
Hinweis

Der Gesetzeswortlaut des § 4 Abs. 5b EStG ist verunglückt. Die GewSt wird dort – anders als etwa in den Fällen des § 4 Abs. 5 EStG – nicht als Betriebsausgabe definiert, die nicht abzugsfähig ist, sondern gar nicht als Betriebsausgabe angesehen. Damit w...

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