Rz. 85

Zu den wesentlichen Merkmalen freiberuflicher Tätigkeit gehört die persönliche Berufsausübung (Rz. 4). Der Stpfl. muss die Berufsqualifikation in Person erfüllen und Inhaber einer etwa notwendigen Berufszulassung sein. Problematisch ist deshalb, in welchem Umfang der Berufsträger Mitarbeiter einsetzen kann, ohne dass der Charakter der persönlichen Berufsausübung verloren geht. Nach der bis 1960 geltenden Fassung des Gesetzes war die Mitarbeit fachlich vorgebildeter Kräfte im Rahmen freiberuflicher Betätigung nur in eng begrenztem Maß möglich. Die von der Rspr. hierzu entwickelte sog. Vervielfältigungstheorie führte im Ergebnis zu der Annahme einer gewerblichen Tätigkeit, wenn mehr als ein qualifizierter Mitarbeiter beschäftigt wurde.[1] Eine an sich selbstständige Tätigkeit, die in ihrem Kernbereich auf der eigenen persönlichen Arbeitskraft des Berufsträgers beruhte, war danach als eine gewerbliche Tätigkeit zu qualifizieren, wenn die Tätigkeit einen Umfang annahm, der die ständige Beschäftigung mehrerer Angestellter oder die Einschaltung von Subunternehmern erforderte, und den genannten Personen nicht nur untergeordnete, insbesondere vorbereitende oder mechanische Arbeiten übertragen wurden.[2] Es spielte für diese Beurteilung keine Rolle, ob der Stpfl. durch in gleicher oder ähnlicher Weise qualifizierte Mitarbeiter (auch freie Mitarbeiter) oder Subunternehmer[3] von Arbeit entlastet wurde oder ob nur Hilfskräfte beschäftigt wurden, die ausschließlich untergeordnete Arbeiten erledigten.[4]

 

Rz. 86

Der Gesetzgeber hat diese Entwicklung durch Erweiterung des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG um die S. 3 und 4 dahingehend korrigiert, dass die Beschäftigung fachlich vorgebildeter Mitarbeiter solange unschädlich ist, als der Berufsträger aufgrund eigener Fachkenntnisse noch leitend und eigenverantwortlich tätig ist. Die Tatbestandsmerkmale "leitend" und "eigenverantwortlich" stehen dabei selbstständig nebeneinander.[5] Unschädlich ist ferner eine Vertretung des Berufsträgers im Fall vorübergehender Verhinderung. Der Umfang der freiberuflichen Tätigkeit ist damit in erheblichem Ausmaß zulasten einer gewerblichen Betätigung ausgedehnt worden. Mit dieser Änderung hat der Gesetzgeber einer Entwicklung Rechnung getragen, nach der freiberuflich Tätige neben ihrer eigenen Arbeitskraft in zunehmendem Maß auch fremde Arbeitskräfte einsetzen. Die Vervielfältigungstheorie hatte trotzdem noch lange Zeit Bedeutung für die Einkünfte aus sonstiger selbstständiger Arbeit i. S. d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG.[6] Sie ist inzwischen auch für diese Berufe aufgegeben worden; s. Rz. 96.[7]

 

Rz. 87

Für den Anwendungsbereich des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist hinsichtlich der beschäftigten Mitarbeiter zunächst zu unterscheiden, ob es sich hierbei um fachlich vorgebildete Arbeitskräfte oder um sonstiges Personal handelt. Art und Umfang der fachlichen Vorbildung sind an der ausgeübten Tätigkeit des Berufsträgers zu messen. Unter die Kategorie der fachlich vorgebildeten Arbeitskräfte fallen daher nur solche Personen, die nach ihrer Vorbildung in der Lage sind, wesentliche Tätigkeitsbereiche des Berufsträgers selbst zu bearbeiten, auch wenn sie über eine gegenüber dem Berufsträger geringere Ausbildung verfügen.[8] Nicht hierunter fallen z. B. Fachgehilfen, Büropersonal, technisches Personal wie z. B. Laboranten u. Ä. Ohne Bedeutung ist, in welchem Rechtsverhältnis die fachlich vorgebildeten Arbeitskräfte zum Berufsträger stehen. Es kann sich hierbei sowohl um einen Arbeitsvertrag als auch um einen Dienst- oder Werkvertrag (freier Mitarbeiter, Subunternehmer) handeln.

 

Rz. 88

In welchem Umfang der Berufsträger selbst tätig werden muss, hängt von dem jeweiligen Berufsbild ab. Die Anzahl der fachlich vorgebildeten Arbeitskräfte ist solange ohne Bedeutung, als die leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit des Berufsträgers noch gewährleistet ist. Inwieweit dies noch möglich ist, hängt auch von der Art der Berufstätigkeit ab. In der Rspr. wurde die leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit des Berufsträgers u. a. verneint bei einem Steuerbevollmächtigten mit 53 Beschäftigten[9], bei einer Kfz-Sachverständigen-GbR bestehend aus 2 Berufsträgern und 3 angestellten Prüfingenieuren, die aber 86 % der eigentlichen Prüftätigkeiten eigenverantwortlich ausführten[10], bei den beiden Leitern eines Fortbildungsinstituts mit 230 freien Mitarbeitern[11], bei einer modern ausgestatteten Laborpraxis mit fünf Ärzten und 50 bis 70 weiteren Mitarbeitern.[12] Ein Krankenpfleger schuldet eine höchstpersönliche, individuelle Arbeitsleistung am Patienten. Er muss deshalb einen wesentlichen Teil der Pflegearbeit selbst übernehmen. Dazu soll es allerdings ausreichen, wenn er auf die Pflegetätigkeit seiner Mitarbeiter bei jedem einzelnen Patienten so Einfluss nimmt, dass die Leistung den "Stempel seiner Persönlichkeit trägt".[13] Ein Rechtsanwalt, der sich der Hilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient, muss die Grundzüge der Arbeitsabläufe innerhalb der Kanzlei selbst bestimm...

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