Rz. 60

Nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG erlischt die Steuer, wenn zu einem steuerpflichtigen Erwerb gehörende Vermögensgegenstände innerhalb von 24 Monaten nach dem Zeitpunkt der Steuerentstehung bestimmten Gebietskörperschaften (Bund, Land, inländische Gemeinden bzw. einen Gemeindeverband) oder bestimmte Stiftungen zugewendet werden. Die Vorschrift soll Erwerber ermutigen, die näher bezeichneten Vermögensempfänger durch Zuwendungen zu fördern.[1] Im Ergebnis wird durch § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG die Spende des Erwerbers der direkten Spende des Erblassers bzw. Schenkers gleichgestellt, wobei allerdings der Anwendungsbereich des § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG im Vergleich zu § 13 Nrn. 1518 ErbStG erhebliche Unterschiede aufweist.

 

Rz. 61

§ 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG ist durch Gesetz vom 13.12.1990[2] eingefügt worden. Die jetzt geltende Fassung des § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG beruht auf Änderungen durch das StÄndG 1992[3] und das JStG 1996.[4] Durch Gesetz vom 14.7.2000[5] wurde der Kreis der begünstigten Zwecke rückwirkend ab 1.1.2000 erweitert. Es sind nunmehr auch Zuwendungen an eine inländische Stiftung begünstigt, wenn diese ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigten Zwecken i. S. d. §§ 5254 AO dient. § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG wurde durch das ErbStG lediglich redaktionell geändert und durch in § 29 Abs. 4 S. 2 ErbStG das JStG 2020 an die jetzige Regelung in § 58 Nr. 6 AO angepasst.

 

Rz. 62

Europarechtlich ist die Beschränkung des § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG auf "inländische" Rechtsträger unter Berücksichtigung der jüngsten EuGH-Rechtsprechung[6] nicht mit der Kapitalverkehrsteuerfreiheit[7] vereinbar. Eine Reaktion des Gesetzgebers steht insoweit noch aus; zum Verhältnis von Erbschaftsteuer und europäischem Gemeinschaftsrecht vgl. Einführung Rz. 80 ff.

 

Rz. 63

Begünstigte Vermögensempfänger sind neben den genannten inländischen[8] Gebietskörperschaften auch die näher gekennzeichneten inländischen Stiftungen, die steuerbegünstigten Zwecken i. S. d. §§ 5254 AO dienen. Begünstigt sind sowohl rechtsfähige als auch nichtrechtsfähige Stiftungen.[9] Auch die Verbrauchsstiftung (§ 80 Abs. 2 BGB) dürfte eine nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG begünstigte Empfängerin sein.[10]

 

Rz. 64

Ausgenommen sind die gemeinnützigen Stiftungen des § 52 Nr. 23 AO (z. B. Tierzucht, Kleingärtnerei). Durch § 29 Abs. 1 Nr. 4  S. 2 ErbStG sind ferner Stiftungen ausgenommen, die Leistungen i. S. d. § 58 Nr. 6 AO an den Erwerber (Stifter) oder seine nächsten Angehörigen zu erbringen haben. Der Wortlaut des § 29 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 ErbStG ("wenn") lässt eindeutig erkennen, dass der Ausschluss bei Erbringung entsprechender Leistungen in vollem Umfang und nicht nur bei Überschreiten der durch § 58 Nr. 6 AO festgelegten Betragsgrenze gilt.[11]

 
Hinweis

Diese Ausschlusswirkung des § 29 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 ErbStG lässt sich in jedem Fall vermeiden, wenn neben der die Zuwendung empfangenden Stiftung eine weitere Stiftung errichtet wird, die Leistungen i. S. d. § 58 Nr. 5 AO zu erbringen hat.

 

Rz. 65

Begünstigt ist die Übertragung von Vermögensgegenständen, die aus dem Erwerb des Bedachten stammen. Die Art des Vermögensgegenstands ist ohne Bedeutung, sodass neben Kulturgütern (z. B. Kunstwerken) auch die Übertragung von Kapital begünstigt ist. Allerdings verlangt der Wortlaut des § 29 Abs. 1 Nr. 4 S. 1 ErbStG die Weitergabe des erworbenen Gegenstands selbst, sodass die Weitergabe von Surrogaten (z. B. Erlösen aus dem Verkauf erworbener Wertgegenstände) nicht begünstigt wäre. Der Sinn und Zweck des § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG dürfte allerdings insoweit eine großzügigere Auslegung gebieten.[12] Den Anforderungen dieser Vorschrift dürfte bei Kapitalvermögen die Weitergabe des auf einem Sonderkonto getrennt vom Eigenvermögen des Erwerbers gehaltenen Surrogats genügen.[13]

 

Rz. 65a

Der rückwirkende Wegfall der Steuer nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG ist auf den Betrag begrenzt, mit dem der weitergegebene Gegenstand bislang in der steuerpflichtigen Bemessungsgrundlage berücksichtigt worden sei (gegenstandsbezogene Betrachtungsweise).[14] Die durch die Weitergabe des Betriebsvermögens erfolgte "Herausnahme" aus dem Nachlass führe folglich nicht zu einer (weiteren) Minderung des steuerpflichtigen Reinnachlasses. Das Erlöschen nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG kann tatsächlich nur eingreifen, als der um das Wohnrecht geminderte Wert der Wohnung auf die inländische Stiftung übertragen wird.

 

Rz. 66

Sofern für die Zuwendung ein Spendenabzug[15] in Anspruch genommen wird, schließt § 29 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 ErbStG ein Erlöschen der Steuer für die Vergangenheit aus. Der Erwerber hat insoweit ein Wahlrecht zwischen der Freistellung von der Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer und dem Spendenabzug; § 29 Abs. 1 Nr. 4 S. 3 und 4 ErbStG enthalten nähere Regelungen zur Ausübung des Wahlrechts. Um eine doppelte Begünstigung für dieselbe Zuwendung auszuschließen, hat die FinVerw[16] gewisse verfahrensrechtliche Vorkehrungen angeordnet. § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG schließt nicht die einkommensteuerrechtliche Regelung des § 10...

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