Rz. 577

Die Neuregelung für qualifizierte Familienunternehmen wurde als notwendig angesehen, da die Verfügungsbeschränkungen im Rahmen der Unternehmensbewertung nicht berücksichtigt werden.[1] Eine Änderung der allgemeinen Bewertungsvorschrift (des § 9 BewG) wäre möglich gewesen, war aber politisch nicht gewollt.

 

Rz. 578

Bei der Ermittlung des gemeinen Werts sind grundsätzlich "alle Umstände", die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen (§ 9 BewG). Dies gilt allerdings nicht für "ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse" (§ 9 Abs. 2 S. 3 BewG). "Als persönliche Verhältnisse sind auch Verfügungsbeschränkungen anzusehen, die in der Person des Steuerpflichtigen begründet sind" (§ 9 Abs. 3 S. 1 BewG). Aufgrund dieser gesetzlichen Vorgaben soll es nicht möglich sein, die in Gesellschaftsverträgen enthaltenen Entnahme-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen bei der Unternehmensbewertung wertmindernd zu berücksichtigen. Dieser Ausgangspunkt ist in mehrfacher Hinsicht kritisch zu hinterfragen.

 

Rz. 579

Der Gesetzeswortlaut des § 9 Abs. 3 BewG bezieht sich ausdrücklich nur auf "Verfügungsbeschränkungen". Etwaige Entnahme-, Ausschüttungs- und Abfindungsbeschränkungen werden dagegen nicht erwähnt. Diese müssten somit (sofern man sie nicht auch als "persönliche Verhältnisse" qualifizieren will) nach allgemeinen Grundsätzen (§ 9 Abs. 2 S. 2 BewG: "alle Umstände") bei der Ermittlung des gemeinen Werts berücksichtigt werden.

 

Rz. 580

Das Bewertungsgesetz bezieht sich zudem nur auf solche Verfügungsbeschränkungen, die "in der Person des Steuerpflichtigen oder eines Rechtsvorgängers" begründet sind (§ 9 Abs. 3 S. 1 BewG). Im vorliegenden Zusammenhang geht es um Verfügungsbeschränkungen, die im Gesellschaftsvertrag verankert sind. Es handelt sich dabei um eine inhaltliche Ausgestaltung der Mitgliedschaftsrechte aller Gesellschafter. Bei Verfügungsbeschränkungen im Gesellschaftsvertrag handelt es sich um die sachlichen Verhältnisse des Gesellschaftsanteils (und nicht etwa um die persönlichen Verhältnisse des Stpfl.). Die Verfügungsbeschränkung ist auch nicht in der Person des Erblassers oder Schenkers begründet (so § 9 Abs. 3 S. 1 BewG), sondern alleine in dem Gesellschaftsvertrag. Die Verfügungsbeschränkung besteht gerade unabhängig von der Person des einzelnen Gesellschafters. Jeder Erwerber eines Gesellschaftsanteils muss die im Gesellschaftsvertrag verankerte ("verdinglichte") Verfügungsbeschränkung auch dann gegen sich gelten lassen, wenn er sie nicht ausdrücklich übernommen hat. Der Erwerber kann die Beschränkungen auch nicht einfach aufheben oder ändern, da dafür ein Beschluss aller Gesellschafter mit qualifizierter Mehrheit erforderlich ist.

 

Rz. 581

Steuersystematisch[2] wäre es überzeugender gewesen, wenn der Gesetzgeber i. R. d. allgemeinen Vorschrift (des § 9 BewG) einen Bewertungsabschlag von bis zu 30 % vorgesehen hätte, wenn im Gesellschaftsvertrag entsprechende Beschränkungen enthalten sind. Dann wäre ein Vorab-Abschlag i. R. d. Verschonung entbehrlich gewesen. Im Ergebnis hat der Gesetzgeber Bewertung und Verschonung miteinander vermengt.[3]

[2] Umfassend zum Ganzen jetzt Stiftung Familienunternehmen (Hrsg.), Die steuerrechtliche Bewertung von Gesellschaftsanteilen an Familienunternehmen, erstellt von Drüen/Janisch, München 2021, Volltext unter www.familienunternehmen.de.
[3] Krit. zum Ganzen auch Erkis, DStR 2016, 1441, 1446; Hannes, ZEV 2016, 554.

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