Rz. 376c

Der in den Jahren 2007–2015 eingetretene Rückgang der Kapitalmarktzinsen hatte zur Folge, dass der für das Jahr 2015 anwendbare Kapitalisierungsfaktor um mehr als 29 % höher war als der Kapitalisierungsfaktor für das Jahr 2014 und sogar um mehr als 65 % höher als der Kapitalisierungsfaktor für das Jahr 2007. Diese Entwicklung gab zu der Besorgnis Anlass, dass der sich aus § 203 Abs. 1 BewG a. F. ergebende Multiplikator den Bezug zu den Marktgegebenheiten verloren habe und die tatsächlich erzielbaren Unternehmenspreise bei Weitem überzeichne.[1]

Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags hat diese Bedenken aufgegriffen und in der Beschlussempfehlung zu dem Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rspr. des Bundesverfassungsgerichts[2] empfohlen, den Basiszinssatz auf mindestens 3,5 % und höchstens 5,5 % festzulegen. Dies hätte zur Folge gehabt, dass der Kapitalisierungsfaktor mindestens 10 und höchstens 12,5 betragen hätte. Begründet wurde dies mit der Überlegung, dass außerhalb der vorgesehenen Spanne liegende Werte den Unternehmenswert entweder nach oben oder nach unten überzeichneten. Zwar führten niedrige Zinsen tatsächlich zu höheren Unternehmenswerten, jedoch nicht in dem Maß, wie sich der Kapitalisierungsfaktor aufgrund des niedrigen Basiszinssatzes erhöhe. Da der Kapitalisierungsfaktor den Kehrwert des Kapitalisierungszinsfußes bilde, steige er umso stärker an, je mehr sich der Nenner dem Wert 0 nähere. Umgekehrt könne der Anstieg des Basiszinssatzes über einen gewissen Wert zu einer Unterbewertung der Unternehmen führen. Ein solcher Anstieg könne mit einem erhöhten Risiko langfristiger öffentlicher Anleihen zusammenhängen, das die dem Bewertungsansatz des § 203 Abs. 1 BewG zugrunde liegende Annahme, die Anlage des Kapitals in einem Unternehmen erfordere wegen des damit verbundenen höheren Risikos auch eine höhere Verzinsung als die Anlage in öffentlichen Anleihen, infrage stelle.[3]

Im Bundesrat fand der der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses entsprechende Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestags jedoch keine Mehrheit. Der im Laufe des Vermittlungsverfahrens in Gestalt eines Kapitalisierungsfaktors von 13,75 erzielte Kompromiss führt, bezogen auf die Verhältnisse des Jahres 2016, zu um 10 % höheren Unternehmenswerten als der Vorschlag des Finanzausschusses. Zugleich erlaubt die dem BMF eingeräumte Verordnungsermächtigung auch künftig Anpassungen an Veränderungen des Kapitalmarktzinses. Damit trägt die Gesetz gewordene Lösung Einwänden Rechnung, die aus dem Bereich der Landesfinanzverwaltungen gegen den Vorschlag des Finanzausschusses erhoben worden waren. Diese stützten sich vor allem darauf, dass der Umfang einer möglichen Überbewertung von Unternehmensanteilen bisher nicht evaluiert sei, die Begrenzung des Kapitalisierungsfaktors auf 12,5 deshalb mit der Gefahr einer Unterbewertung verbunden sei und die Festlegung eines festen Korridors ohne Marktbezug die verfassungsrechtlich gebotene Annäherung an den gemeinen Wert verhindere.[4]

[1] Wachter, Beihefter zu DStR Heft 35/2014, 90, 97; Lüdicke, FR 2013, 107, 112.
[2] BT-Drs. 18/8911.
[3] BT-Drs. 18/8911, 47.
[4] Erkis, DStR 2016, 1441, 1447.

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