Rz. 277

Die Einschränkung, dass nur im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommene Verkäufe als Grundlage für die Ableitung des gemeinen Werts in Betracht kommen, bleibt durch die Änderung des § 11 Abs. 2 BewG unberührt. Denn sie folgt unmittelbar aus der gesetzlichen Begriffsbestimmung des gemeinen Werts.[1] Als gewöhnlicher Geschäftsverkehr ist der Handel zu verstehen, der sich nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage unter freien Wirtschaftsteilnehmern vollzieht und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang und nicht aus Not, sondern freiwillig in Wahrung seiner eigenen Interessen zu handeln in der Lage ist.[2] Dies ist nach den Gesamtumständen des Einzelfalls unter Heranziehung objektivierter Maßstäbe zu entscheiden.[3] Als solche hat der BFH in der Vergangenheit vor allem das Gesamtvermögen und die Ertragsaussichten der Gesellschaft angesehen, um deren Anteile es sich handelt.[4] Dies entsprach den nach § 11 Abs. 2 BewG a. F. und seinen Vorgängerregelungen geltenden Bewertungsmaßstäben für den Fall, dass der gemeine Wert nicht aus Verkäufen abgeleitet werden konnte. Die Entscheidung darf jedoch nicht so verstanden werden, dass die Maßgeblichkeit tatsächlich vereinbarter Kaufpreise von dem Ergebnis einer entsprechenden Vergleichsberechnung abhängt. Hierzu dürfte allenfalls dann Anlass bestehen, wenn die Abweichung des vereinbarten Kaufpreises vom "inneren" Anteilswert so eklatant und offensichtlich ist, dass sich der Schluss auf ungewöhnliche oder persönliche Gründe für die Kaufpreisbemessung aufdrängt.

 
Hinweis

Wenn sich aus weniger als ein Jahr zurückliegenden Verkäufen zu hohen Preisen das Risiko einer Überbewertung ergibt, empfiehlt es sich, geplante Übertragungen unter Lebenden bis zum Ablauf der Jahresfrist zurückzustellen. Umgekehrt können vergleichsweise günstige Kaufpreise für anstehende Schenkungen genutzt werden.

 

Rz. 278

Zu der Frage, wann Anteilsverkäufen (nicht) im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen sind, hat sich eine umfangreiche Kasuistik entwickelt.

Danach liegen keine ungewöhnlichen Verhältnisse vor, wenn

  • sich Verkäufe auf Sperrminoritäten, Schachtel- oder Mehrheitsbeteiligungen beziehen. Derartige Geschäfte sind nicht ungewöhnlich, sondern stellen für das Marktgeschehen typische Erscheinungen dar[5];
  • der Nennwert der bei einer Mehrzahl von Verkäufen umgesetzten Aktien im Verhältnis zum Grundkapital sehr gering ist[6];
  • der beim Verkauf von Geschäftsanteilen an einer GmbH erzielte Preis darauf beruht, dass ein branchenfremdes Unternehmen in die Branche der GmbH einzudringen versucht[7];
  • Aktien mit dem Ziel der Börseneinführung an ein Bankenkonsortium veräußert werden[8];
  • ein Unternehmen desselben Geschäftszweiges ein anderes Unternehmen aufkauft, um sich in einem bestimmten Gebiet einer Konkurrenz zu entledigen[9];
  • im Rahmen eines Management Buy-Outs der Kaufpreis nicht unter dem Gesichtspunkt der Erlösmaximierung, sondern mit dem Ziel festgelegt wird, die rentable Unternehmensfortführung zu ermöglichen[10];
  • gesellschaftsvertragliche Verfügungsbeschränkungen zur Folge haben, dass bei einer Veräußerung von Anteilen nur ein eingeschränkter Kreis von möglichen Erwerbern vorhanden ist, es sei denn, die Verkäufe der Anteile würden zum Nennwert erfolgen und der Verkaufspreis würde den inneren Wert der Anteile nicht annähernd widerspiegeln.[11]

Verkäufe von Anteilen innerhalb des bisherigen Gesellschafterkreises sind ohne Hinzutreten weiterer besonderer Umstände solche im gewöhnlichen Geschäftsverkehr.

Auch ein erheblicher Unterschied zwischen den Verkaufskursen und dem nach dem Stuttgarter Verfahren ermittelten Wert begründet nicht die Vermutung von Verkäufen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs, wenn sich aus dem Verhältnis der Verkaufskurse zur durchschnittlichen Ausschüttung eine angemessene Rendite ergibt, die Anteile von einer Vielzahl von Gesellschaftern gehalten werden und keiner der Gesellschafter beherrschenden Einfluss hat.[12]

 

Rz. 279

Ungewöhnliche Verhältnisse liegen hingegen vor, wenn

  • Anteilsveräußerer und Erwerber mit dem Beteiligungswechsel in erster Linie eine Neuordnung ihrer Unternehmen mit dem Ziel einer gegenseitigen engen wirtschaftlichen und technischen Zusammenarbeit erstreben[13];
  • Anteile nur mit Zustimmung eines Verwaltungsrats an einen begrenzten Personenkreis veräußert werden können und die Gepflogenheit besteht, sie innerhalb dieses Kreises zum Nennwert zu übertragen[14];
  • beim Verkauf vinkulierter Namensaktien einer Zuckerfabrik, die von Zuckerrüben anbauenden Landwirten gegründet wurde, als Verkaufspreis regelmäßig der den eigenen Anschaffungskosten entsprechende Nennwert angesetzt wird[15];
  • eine Aktiengesellschaft satzungsmäßig gemeinnützige Ziele verfolgt, die Namensaktien nur mit Zustimmung der Gesellschaftsorgane übertragen werden dürfen und der Verkaufspreis nicht annähernd den inneren Wert der Aktie widerspiegelt.[16]

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