Rz. 1

§ 11 ErbStG legt den Bewertungsstichtag, d. h. den Zeitpunkt für die "Wertermittlung" fest. Diese Wertermittlung betrifft nicht nur die steuerliche Bewertung nach § 12 ErbStG, sondern die Gesamtheit der Ermittlungen, die für die Bestimmung des steuerpflichtigen Erwerbs i. S. d. § 10 ErbStG erforderlich sind.[1] Nach den Verhältnissen des Bewertungsstichtags bestimmen sich auch die maßgeblichen persönlichen Verhältnisse, die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen von Steuerbefreiungen[2] sowie der Bestand (d. h. der Umfang des angefallenen Vermögens oder z. B. die Höhe von Nachlassverbindlichkeiten) und der Wert des Erwerbs.[3]

 

Rz. 2

Maßgebend ist – soweit im ErbStG nichts anderes bestimmt ist[4] – jeweils der Zeitpunkt der Steuerentstehung, der in § 9 ErbStG festgelegt ist. Bewertungsstichtag ist z. B. bei Erwerben von Todes wegen der Todestag des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) und bei Schenkungen unter Lebenden, der der Ausführung der Zuwendung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Beim Übergang des Vermögens auf eine vom Erblasser angeordnete Stiftung (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ErbStG) entsteht die Steuer erst mit dem Zeitpunkt der Anerkennung der Stiftung als rechtsfähig (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ErbStG); der zwischen dem Erbfall und der Anerkennung als rechtsfähig eingetretene Vermögenszuwachs ist daher erbschaftsteuerlich zu erfassen.[5] Zur Thematik der Kryptowährungen sei exemplarisch v. Oertzen empfohlen.[6]

[1] BFH v. 28.10.2015, II R 46/13, BFH/NV 2016, 675, BStBl II 2016, 477; eingehend Schmid, ZEV 2015, 387 ff.
[3] Geck, FR 2007, 631 ff.
[4] Dazu nachfolgend Rz. 4 und 5.
[6] Vgl. v. Oerzten/Biermann/Lindemann, ErbR 2022, 762.

1.1 Erbschaft- und Schenkungsteuer als Stichtagssteuer

 

Rz. 3

Mit dem in § 11 ErbStG normierten Stichtagsprinzip, durch das die Erbschaft- und Schenkungsteuer als sog. Stichtagssteuer ausgestaltet ist, wird die Wertermittlung auf einen eindeutigen, zeitlich klar fixierten Zeitpunkt bezogen. Dieses Prinzip verwirklicht in erster Linie den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung[1] und dient damit der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Das Stichtagsprinzip gilt auch für die Ersatzerbschaftsteuer.[2]

1.2 Abweichende Regelungen

 

Rz. 4

Der Zeitpunkt der Steuerentstehung ist nach § 11 ErbStG als Bewertungsstichtag nur maßgebend, "soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist". Derzeit ist eine solche abweichende Regelung nur in § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG normiert, wonach ein früherer Erwerb mit seinem früheren Wert – und nicht mit seinem Stichtagswert im Zeitpunkt des letzten Erwerbs – anzusetzen ist.

 

Rz. 5

Einschränkungen des Stichtagsprinzips ergeben sich im Übrigen, soweit – der Anknüpfung des ErbStG an zivilrechtliche Rechtsvorgänge entsprechend – ein Ereignis kraft zivilrechtlicher Rückwirkung, z. B. Genehmigung[1] nachträglich zu Veränderungen hinsichtlich des steuerpflichtigen Erwerbs führt und/oder der Gesetzgeber einem Ereignis – wie im Fall des § 29 Abs. 1 ErbStG – ausdrücklich die Rechtsqualität eines rückwirkenden Ereignisses i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO zumisst.

 

Rz. 6

Eine stichtagsdurchbrechende Wirkung kann auch §§ 5 ff. BewG zukommen.[2] So werden aufschiebend bedingte Lasten nach § 12 Abs. 1 ErbStG i. V. m. § 6 Abs. 1 BewG erst berücksichtigt, wenn die Bedingung eintritt.[3]

 

Rz. 7–14

einstweilen frei

[1] § 184 BGB oder Ausschlagung § 1953 Abs. 1 BGB.
[2] BFH v. 8.2.2006, II R 38/04, BFH/NV 2006, 1181, betr. aufschiebend bedingte Gegenleistungspflicht bei gemischter Schenkung; näher Schmid, ZEV 2015, 387 f.

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