Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftliche Unzumutbarkeit der Abgabe einer Steuererklärung in elektronischer Form im Rahmen der Härtefallregelung nach § 150 Abs. 8 AO - hier: selbständiger Zeitungszusteller mit jährlichen Einnahmen von knapp 6.000 €

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wirtschaftliche Unzumutbarkeit i.S.d. § 150 Abs. 8 AO kann bei einem Missverhältnis des Kostenaufwands für die Schaffung der technischen Voraussetzungen für eine Datenfernübertragung zu den die Verpflichtung hierzu begründenden Gewinneinkünften vorliegen.

2. Die Kosten der Umstellung auf den elektronischen Verkehr mit dem Finanzamt, zu denen nicht nur die Aufwendungen für die Anschaffung der Hard- und Software, sondern auch für deren Einrichtung, Wartung und ähnliche Dienstleistungen gehören, müssen in einer wirtschaftlich sinnvollen Relation zu dem Betrieb bzw. den daraus erzielten Einkünften stehen. Dies ist bei einem Kleinstbetrieb im Regelfall nicht der Fall.

 

Normenkette

EStG § 25 Abs. 4; AO § 150 Abs. 8

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 16.06.2020; Aktenzeichen VIII R 29/17)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger berechtigt ist, seine Einkommensteuererklärungen weiterhin in Papierform abzugeben.

Der in 1969 geborene Kläger ist selbständiger Zeitungszusteller. Seine hieraus im Wege der Einnahmen-Überschussrechnung ermittelten Gewinne betrugen lt. den erklärungsgemäß ergangenen Veranlagungen in 2013 knapp 2.800,00 € und in 2014 rd. 2.900,00 € bei Einnahmen i.H.v. rd. 5.700,00 € bzw. 5.100,00 €.

Darüber hinaus hat er Einkünfte aus einem Kapitalvermögen, das sich nach seinen Angaben auf 200.000,00 und 250.000,00 € beläuft.

Nachdem der Kläger bis 2009 als Finanzbeamter nichtselbständig tätig war, ließ er sich in 2010 zum Steuerberater bestellen. Seit 2013 erzielt er mit seiner von ihm in seiner Privatwohnung und ohne Mitarbeiter betriebenen Praxis Einnahmen in minimaler Höhe, was bis dato zu Verlusten führte, die in den Einkommensteuerfestsetzungen als sog. "Liebhaberei" keine Berücksichtigung fanden.

Seine Steuererklärungen einschließlich der Gewinnermittlungen und erläuternden Anlagen erstellte er auf amtlichem Vordruck (gut lesbar) handschriftlich.

Die Einkommensteuererklärung 2014 wurde vom Finanzamt unter Hinweis auf die Pflicht zur elektronischen Abgabe zunächst wieder an den Kläger zurückgeschickt, er jedoch später nach erneuter Einreichung auf ihrer Basis veranlagt.

In diesem zeitlichen Rahmen, unter dem 2. Juli 2015, beantragte er, die Einkommensteuererklärungen aus Billigkeitsgründen gem. § 25 Abs. 4 Satz 2 EStG auch weiterhin in Papierform abgeben zu dürfen, da er weder die entsprechende Hardware noch einen Internetanschluss besitze. Die Anschaffung der erforderlichen Ausstattung und der Abschluss eines Internetvertrages verursachten erhebliche Kosten. Eine Verpflichtung hierzu verstoße sowohl gegen Art. 2 als auch Art. 14 des Grundgesetzes. Daher könne die Problematik der Sicherheit von elektronisch übermittelten vertraulichen Daten dahingestellt bleiben.

Mit Bescheid vom 6. Juli 2015 lehnte das Finanzamt den Antrag ab. Zur Begründung führte es aus, der Gesetzgeber erwarte auch von denjenigen Steuerpflichtigen die elektronische Übermittlung, die dazu erst noch die Technik anschaffen und sich das Wissen im Umgang mit ihr aneignen müssten. Dies sei vom BFH auch als verfassungsgemäß bestätigt worden. Nur wenn dem Steuerpflichtigen die mit der Schaffung und dem Unterhalt verbundenen Kosten nach seinen persönlichen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zugemutet werden könne, rechtfertige dies eine Ausnahme. Gleiches gelte in Bezug auf seine individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten. Auf einen solchen Ausnahmefall könne sich der Kläger nicht berufen. Ausgehend von den von ihm erzielten Einkünften liege die Anschaffung der entsprechenden Hardware innerhalb seiner wirtschaftlichen Verhältnisse. Er habe auch nicht dargetan, dass er kurzfristig eine Einstellung seiner betrieblichen Tätigkeit beabsichtige.

Mit hiergegen fristgerecht eingelegtem Einspruch wendete der Kläger ein, sowohl die Voraussetzungen der Billigkeitsregelung des § 150 Abs. 8 AO als auch die des § 25 Abs. 4 Satz 2 EStG seien erfüllt. Nach § 150 Abs. 8 AO liege ein sog. Härtefall vor, wenn dem Steuerpflichtigen die elektronische Abgabe aus wirtschaftlichen oder/und aus persönlichen Gründen unzumutbar sei. Beides treffe auf ihn zu. Er verfüge weder über Hard- noch Software noch über einen Internetanschluss. Bei seinem Handy handele es sich nicht um ein sog. Smartphone, sondern um ein ca. 20 Jahre altes Mobiltelefon. Die Anschaffung der für die elektronische Abgabe erforderlichen technischen Ausstattung würde einen nicht unerheblichen finanziellen Aufwand verursachen, der in keinem angemessenen Verhältnis zur Verwaltungsvereinfachung und Kostenersparnis auf Seiten der Finanzverwaltung stehe. Der Vorteil für das Finanzamt bestehe darin, maximal 20 Minuten für die Eingabe der Angaben in der Einkommensteuererklärung einzusparen. Eine elektronische Verprobung der Eingabewerte komme hier...

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