Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzzuschätzung; Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Unmaßgeblich sind Vorstellungen und Vorbesprechungen der Beteiligten, die nicht explizit Gegenstand der tatsächlichen Verständigung geworden sind; versteckte Einigungsmängel i.S.v. § 155 BGB werden von einer getroffenen tatsächlichen Verständigung erfasst. Lediglich offene Einigungsmängel können insoweit eine Bindung an die tatsächliche Verständigung ausschließen.

2. Das beklagte FA kann sich nicht darauf berufen, dass tatsächliche Verständigungen im Allgemeinen nur für unklare Sachverhalte geschlossen würden und die strittigen zusätzlichen Transportumsätze damit als klarer Sachverhalt neben der tatsächlichen Verständigung Berücksichtigung finden müssten. In der vorliegenden tatsächlichen Verständigung wurde als unklarer Sachverhalt ohne Einschränkung die nicht ordnungsgemäße Buch- und Kassenführung bezeichnet. Dies umfasst demnach auch sämtliche nicht erfassten Umsätze.

 

Normenkette

BGB § 155; UStG § 22

 

Tatbestand

Streitig sind die Umsatzsteuerfestsetzung für 2013 einschließlich der Umsetzung einer tatsächlichen Verständigung.

Der Kläger betreibt ein Unternehmen auf den Gebieten des Reisegewerbes (u.a. Obst- und Gemüsehandel), des gewerblichen Güterkraftverkehrs sowie der Fahrzeugaufbereitung. Herr G aus I fertigte für den Kläger die laufende Buchführung, die Jahresabschlüsse/Gewinnermittlungen, die Voranmeldungen und die Steuererklärungen. Dem Kläger ist die Besteuerung seiner Umsätze nach vereinnahmten Entgelten genehmigt worden.

Für das Jahr 2013 reichte der Kläger seine Umsatzsteuererklärung am 16.12.2014 ein, aus der sich eine Umsatzsteuer von 495,20 € ergab und die einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstand.

Am 11.8.2015 fand beim Kläger eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung statt, die nach einer Prüfungserweiterung auch den Zeitraum 2013 umfasste. Am 15.6.2016 wurde durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (StrafaFA) N gegen den Kläger ein Strafverfahren u.a. wegen Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen I/2013 bis I/2016 eingeleitet.

Abschließend fand am 10.1.2018 eine Schlussbesprechung zur Umsatzsteuersonderprüfung in den Diensträumen des Hauptzollamts, Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), in I statt, an der ausweislich des Berichts über die Umsatzsteuersonderprüfung vom 19.1.2018 und eines Aktenvermerks der FKS über die Schlussbesprechung (Stehordner, Trennblatt FKS) folgende Personen teilnahmen: der Kläger, sein Strafverteidiger Herr Rechtsanwalt T mit Vollmacht und Frau T als steuerrechtlicher Beistand, der Fahndungsprüfer Herr H vom StrafAFA N, Herr J als Sachbearbeiter der Deutschen Rentenversicherung (DRV) …, Frau L von der FKS I und der Umsatzsteuersonderprüfer vom Finanzamt I, Herr O. Der weitere strafrechtliche Verteidiger des Klägers, der Prozessbevollmächtigte, nahm trotz Kenntnis über den Termin nicht an der Schlussbesprechung teil.

Im Rahmen dieser Schlussbesprechung erfolgte eine tatsächliche Verständigung, an der ausweislich des Protokolls über diese tatsächliche Verständigung der Kläger und Herr Rechtsanwalt T sowie für das Festsetzungsfinanzamt Frau W (Sachgebietsleiterin für Umsatzsteuersonderprüfung und für den Festsetzungsbereich) und Herr O teilnahmen. Diese lautete für den Zeitraum 2013 dahin, dass für den Speditionsteil eine Zuschätzung von Umsätzen i.H.v. 30.000 € zuzüglich 5.700 € Umsatzsteuer (19 %) und für den übrigen gewerblichen Teil (An- und Verkauf von Obst und Gemüse) eine Zuschätzung von Umsätzen i.H.v. 5.000 € zzgl. 350 € Umsatzsteuer (7 %) vorgenommen werden. Das Protokoll über die tatsächliche Verständigung ist vom Kläger persönlich und von Frau W als Sachgebietsleiterin des Finanzamts unterzeichnet worden und hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

„A. Vorbemerkung

3. Mit dem Abschluss der Vereinbarung sind die Beteiligten an die vereinbarte Tatsachenbehandlung gebunden. Diese ist damit späteren Rechtsstreitigkeiten grundsätzlich entzogen. Die Vereinbarung bedarf grundsätzlich der Umsetzung in den Verwaltungsakt, für den die tatsächlichen Verständigung bestimmt ist (Verwirklichung der tatsächlichen Verständigung). …

B. Ergebnis der Verhandlung

1.13

Die Verhandlungsteilnehmer stimmen darüber überein, dass wegen erschwerter Sachverhaltsermittlungen hinsichtlich folgender strittiger Punkte die Voraussetzungen für eine tatsächliche Verständigung vorliegen: erhebliche Mängel in der Buch- und Kassenführung

2.14

Zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung bzw. -vereinfachung und zur Herstellung des Rechtsfriedens wird deshalb verbindlich vereinbart, hinsichtlich der o.a. strittigen Punkte bei der Besteuerung folgenden Sachverhalt zugrunde zu legen:Aufgrund der unvollständigen Erfassung der vereinnahmten Erlöse in der Buchführung, werden die folgenden Zuschätzungen vorgenommen. …”

Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf das Protokoll über eine tatsächliche Verständigung vom 10.1.2018 (Stockakte USt 2013).

Der von...

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