Entscheidungsstichwort (Thema)

Mehraktige Berufsausbildung

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein unternehmensinterner Ausbildungsgang (hier der AOK-interne Studiengang zum AOK-Betriebswirt) ist nicht Teil einer mehraktigen erstmaligen Berufsausbildung, wenn er nicht staatlich anerkannt und mit Beteiligung staatlicher Stellen konzipiert worden ist.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 2, § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 18.02.2021; Aktenzeichen III R 14/19)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob in einer Ausbildung zum „Sozialversicherungsfachangestellten” und dem anschließenden Ausbildungsgang „AOK-Betriebswirt/-in” eine einheitliche erstmalige Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu sehen ist.

Der am 08.04.1994 geborene Sohn der Klägerin, Herr M. L., bestand im Anschluss an seine Ausbildung bei der AOK am 28.06.2013 die Prüfung für den staatlich anerkannten Ausbildungsberuf „Sozialversicherungsfachangestellter” mit der Note „ausreichend” (Bl. 13 und 14 der Kindergeldakte).

Am 23.07.2013 nahm er erfolgreich an einem Potenzialanalyseverfahren der AOK teil (Bl. 11 f. der Kindergeldakte). Zum 01.10.2014 begann er den Studiengang „AOK-Betriebswirt/-in”. Bei dem Studiengang handelt es sich um ein betriebsinternes Studium, an dem nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der AOK teilnehmen können. Zugelassen werden können Sozialversicherungsfachangestellte, die ihre Befähigung zum Studium in einem bundeseinheitlichen Potenzialanalyseverfahren nachgewiesen und die geforderten Leistungsnachweise „Basiskenntnisse” erfolgreich erbracht haben. Dabei können diese Leistungsnachweise im Regelfall frühestens ein Jahr nach Bestehen der Abschlussprüfung zum „Sozialversicherungsfachangestellten” erbracht werden. Das Studium umfasst die Themenschwerpunkte Betriebswirtschaftslehre, Recht, Gesundheitswissenschaften, Management und Marketing. Der Abschluss „AOK-Betriebswirt/-in” ist staatlich nicht anerkannt und kann auch nicht im Rahmen anderer staatlich anerkannter Studiengänge angerechnet werden. Das Studium wurde von der AOK ohne Beteiligung staatlicher Stellen konzipiert. Wegen der Einzelheiten wird auf die Studien- und Prüfungsordnung (Bl. 39 ff. der Gerichtsakte) sowie das Schreiben der AOK vom 07.12.2018 (Bl. 60 der Gerichtsakte) Bezug genommen. Am 13.12.2017 bestand der Sohn der Klägerin die Prüfung „AOK-Betriebswirt/-in” (Bl. 10 der Kindergeldakte). Während des Studiums war er bei der AOK durchgängig mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden beschäftigt (Bl. 19 der Kindergeldakte).

Die Klägerin beantragte – noch im Jahr 2017 – die rückwirkende Festsetzung von Kindergeld. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Kindergeld ab Oktober 2014 mit Bescheid vom 28.12.2017 ab (Bl. 22 der Kindergeldakte) und wies den hiergegen gerichteten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 30.01.2018 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie an, der Sohn der Klägerin habe mit Bestehen der Prüfung zum Sozialversicherungsfachangestellten eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen. Da er einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, sei der Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ausgeschlossen. Zwar könne nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung angesehen werden. Eine mehraktige Berufsausbildung in diesem Sinne setze aber einen engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten voraus. Ein enger zeitlicher Zusammenhang könne nur dann angenommen werden, wenn die Bewerbung oder Ausbildungsplatzzusage aus dem Monat nach Abschluss des ersten Ausbildungsabschnittes stamme oder das Kind in diesem Monat eine Absichtserklärung abgebe. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall nicht erfüllt, da die erste Ausbildung am 28.06.2013 abgeschlossen und die Weiterbildung „AOK-Betriebswirt/-in” erst zum 01.10.2014 – mithin 15 Monate später – begonnen worden sei. Zudem liege lediglich eine interne Weiterbildung vor. Der Sohn erlange keinen staatlich anerkannten Abschluss und es sei nicht bekannt, ob andere Unternehmen diesen internen Abschluss anerkennen.

Mit Bescheid vom 24.01.2018 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kindergeld für den Zeitraum ab Juli 2013 mit der Begründung ab, der Sohn M. L. habe mangels zeitlichen Zusammenhangs der beiden Ausbildungsabschnitte keine mehraktige Berufsausbildung im Sinne der Rechtsprechung des BFH durchlaufen. Den dagegen gerichteten Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 07.03.2018 als unbegründet zurück.

Im Klageverfahren macht die Klägerin geltend, ihr Sohn habe im unmittelbaren Anschluss an seine Ausbildung zum „Sozialversicherungsfachangestellten” erfolgreich an einem Personalentwicklungsseminar der AOK teilgenommen. Die Zulassung zum Studium „AOK-Betriebswirt/-in” setze die erfolgreiche Teilnahme an einem solchen Seminar sowie die Erbringung der Leistungsnachweise „Basiskenntnisse” vorau...

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