Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderung durch Täuschung erwirkter Lohnsteueranmeldungen, Änderungssperre. Finanz- und Abgaberecht

 

Leitsatz (redaktionell)

Dem Arbeitgeber steht gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c) AO ein Anspruch auf Änderung von Lohnsteueranmeldungen hinsichtlich solcher Zahlungen zu, die sich ein Arbeitnehmer ohne Anspruch und ohne Kenntnis des Arbeitgebers überwiesen hat. Die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO steht dem nicht entgegen.

 

Normenkette

AO § 173 Abs. 2, § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c)

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 30.09.2020; Aktenzeichen VI R 34/18)

 

Tatbestand

Nachdem die Klägerin ihr Klagebegehren zwischenzeitlich eingeschränkt hat, ist nunmehr noch streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf Änderung der Lohnsteueranmeldungen für die Anmeldezeiträume Januar 2012 bis einschließlich Juni 2014 (Streitzeitraum) hat.

Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis bestehend aus den Gesellschaftern Dr.1, Dr.2 und Dr.3. Sie betreibt in A eine kardiologische Fachpraxis. Während des Streitzeitraums erwirtschaftete sie einen Umsatz in Höhe von ca. 1,5 Mio. EUR pro Jahr und beschäftigte zwischen 15 und 23 Mitarbeiter. Eine der Mitarbeiterinnen der Klägerin war eine Frau B, die auf der Grundlage eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses seit dem 01.01.2006 für die Klägerin tätig war und überwiegend Buchhaltungsaufgaben wahrnahm. Das nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Arbeitsentgelt, das die Klägerin bis einschließlich Juni 2010 mit 2 % pauschal versteuerte, belief sich auf 400 EUR. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug 10 Stunden, die an zwei Tagen zu erbringen waren.

Im Juni 2010 legte Frau B einem der Gesellschafter der Klägerin – Herrn Dr.3- den Text für einen weiteren bzw. geänderten Arbeitsvertrag zwischen ihr als Arbeitnehmerin und der Klägerin als Arbeitgeberin vor. Nach diesem Vertragstext sollten die regelmäßige Arbeitszeit von Frau B nunmehr 38,5 Stunden wöchentlich und das Bruttomonatsgehalt 1.700 EUR betragen. Des Weiteren sollte Frau B eine der Höhe nach nicht bezifferte jährliche Weihnachtsgratifikation erhalten. Der Arbeitsvertrag wurde von Herrn Dr.3 und Frau B unterzeichnet und sollte am 01.07.2010 beginnen.

Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass Herr Dr.3 den Arbeitsvertrag in Unkenntnis seines Inhalts und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen durch Frau B unterzeichnet hat.

In der Folgezeit veranlasste Frau B die Überweisung der nachfolgend dargestellten Jahresbruttoarbeitslöhne und führte die hierauf entfallenden Lohn- und Annexsteuern an den Beklagten ab:

Zeitraum

Bruttoarbeitslohn

Lohnsteuer

Solidaritätszuschlag

Kirchensteuer

01.07.-31.12.2010

10.162,60 EUR

2.093,47 EUR

115,09 EUR

188,37 EUR

01.01.-31.12.2011

21.933,68 EUR

4.668,31 EUR

256,72 EUR

420,11 EUR

01.01.-31.12.2012

22.140,00 EUR

4.722,00 EUR

259,68 EUR

424,92 EUR

01.01.-31.12.2013

23.940,00 EUR

5.277,96 EUR

290,28 EUR

474,96 EUR

01.01.-31.12.2014

29.340,00 EUR

6.961,92 EUR

382,80 EUR

626,52 EUR

01.01.-31.12.2015

30.540,00 EUR

7.341,43 EUR

403,72 EUR

660,63 EUR

Summen:

138.056,28 EUR

31.065,09 EUR

1.708,29 EUR

2.795,51 EUR

Wegen der im Einzelnen pro Lohnsteueranmeldezeitraum (Monat) angemeldeten Lohn- und Annexsteuerbeträge wird auf die Auszüge aus den entsprechenden Lohnkonten der Klägerin Bezug genommen.

Die Beteiligten stimmen darin überein, dass Frau B auf die vorstehend genannten Arbeitsentgelte keinen Anspruch hatte (vgl. Bl. 67 d. GA). Die Auszahlung der überhöhten Arbeitsentgelte und die hiermit im Zusammenhang stehenden Lohnsteueranmeldungen erfolgten ohne bzw. gegen den Willen der Klägerin und wurden von dieser zunächst auch nicht bemerkt.

Frau B wurde in den Jahren 2010 bis 2015 mit ihrem Ehemann von dem Beklagten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Dabei legte der Beklagte unter anderem die vorstehend dargestellten Bruttoarbeitslöhne der Besteuerung zugrunde und rechnete die hierfür angemeldeten und abgeführten Lohn- und Annexsteuern an.

In der Zeit vom 23. bis 24.04.07.2014 führte der Beklagte eine Lohnsteueraußenprüfung bei der Klägerin durch, die im Wesentlichen von Frau B begleitet wurde. Die Prüfung führte zu keinen Beanstandungen. Infolgedessen hob der Beklagte mit Bescheid vom 29.07.2014 den Vorbehalt der Nachprüfung für die von der Klägerin abgegebenen Lohnsteueranmeldungen für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis 30.06.2014 auf.

Im Dezember 2015 erkannte die Klägerin die von Frau B veranlassten überhöhten Lohnzahlungen. Es wurde ferner festgestellt, dass Frau B weitere erhebliche finanzielle Mittel durch diverse Überweisungen veruntreut hatte. Frau B nahm sich am 18.12.2015 das Leben.

Am 29.01.2016 vereinbarte die Klägerin mit dem Ehemann der verstorbenen Frau B, dass der Ehemann als Erbe der Verstorbenen zur Schadenskompensation einen Betrag in Höhe von 140.000 EUR aus dem Nachlass der Verstorbenen und seinem Privatvermögen an die Klägerin zahlt.

Mit Schreiben vom 11.03.2016 (Eingang beim Finanzamt am selben Tag) beantragte die Klägerin – vertreten durch ihren derzeitigen Prozessbevollm...

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