Entscheidungsstichwort (Thema)

Ernsthafte Zweifel an der Verfassungskonformität

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung bestehen an der Verfassungsgemäßheit des § 2 Abs. 3 S. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 erhebliche Zweifel im Hinblick auf einen Verstoß gegen das aus Art. 3 GG abzuleitende Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, soweit der Ausgleich positiver Einkünfte mit so genannten echten Verlusten beschränkt ist. Zudem ergeben sich verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich des aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Grundsatzes der Bestimmtheit von Gesetzen. Schließlich bestehen Zweifel, ob § 2 Abs. 3 EStG bei der Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 20 Abs. 3 GG verstößt.

2) Bei gegebener Verfassungswidrigkeit von § 2 Abs. 3 S. 3 EStG EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 kann der Steuerpflichtige, dessen wirtschaftliche Existenz unter Umständen aufgrund der gesetzlichen Besteuerung gefährdet wird, an Stelle der Aufhebung des Gesetzes nicht darauf verwiesen werden, dass er die Möglichkeit habe, eine Billigkeitsregelung i.S.d. §§ 163 bzw. § 227 AO zu beantragen. Eine Besteuerung, die in einer nicht unerheblichen Zahl unter Umständen zu einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung führen kann, verstößt gegen Art. 14 Abs. 1 GG.

3) Die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung von Steuerbescheiden ist bei Steuerbescheiden gemäß § 69 Abs. 2 S. 8 FGO auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt, sofern die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung nicht zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14, 14 Abs. 1, Art. 20, 20 Abs. 3; EStG §§ 2, 2 Abs. 3, 2, 2 S. 3; AO §§ 163, 227; FGO §§ 68, 68 Abs. 2, 2 S. 8, §§ 69, 69 Abs. 3; GG Art. 3

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 07.07.2004; Aktenzeichen XI B 231/02)

BFH (Beschluss vom 07.07.2004; Aktenzeichen XI B 231/02)

 

Gründe

Zu entscheiden ist, ob die Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 wegen eventueller Verfassungswidrigkeit der Verlustverrechnungsregelung des § 2 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (im Folgenden EStG 1999) von der Vollziehung auszusetzen sind.

Der Antragsteller (Ast.) bezieht als Zahnarzt Einkünfte aus selbständiger Arbeit und als Angestellter eines zahntechnischen Labors Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Weiterhin hat er Kapitaleinkünfte und aufgrund verschiedener Beteiligungen Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Außerdem bezieht er Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (VuV) aus insgesamt 11 Mietobjekten, wovon er eines im Jahr 1983, zwei im Jahr 1989, eines im Jahr 1995 und die Übrigen in der Zeit von 1998 bis 2000 angeschafft hat. Die alle in NRW gelegenen Mietobjekte dienen im Wesentlichen der Wohnungsmiete. Zwei Mietobjekte vermietet der Ast. an große Einzelhandelsketten. Bei einem der zuletzt genannten Objekte hat der Ast. für das Jahr 2000 einen vom Antragsgegner (Ag.) (Finanzamt – FA–) unter Vorbehaltsfestsetzung anerkannten sofort abzugsfähigen Aufwand in Höhe von 503.037 DM geltend gemacht. Im Übrigen hat der Ast. hohe Schuldzinsbeträge für die Mietobjekte geltend gemacht. Sie betragen z. B. beim Objekt C, P. Straße (im folgenden Objekt I) 106.592 DM (1999) und 104.592 DM (2000), beim Objekt C, P2 Straße (Objekt II) 156.230 DM (1999) und 200.268 DM (2000) und beim Objekt C2, Am T. platz (Objekt III) 170.021 DM (1999) und 255.322 DM (2000).

Außerdem hat der Ast. für die Mietobjekte die sogenannte Normal-AfA in Anspruch genommen. Sie betrug für das Objekt I 41.847 DM jeweils in den Jahren 1999 und 2000, für das Objekt II 117.868 DM (1999) und 119.417 DM (2000) und für das Objekt III 20.830 DM (1999) und 36.926 DM (2000).

In dem zuletzt noch im Einspruchsverfahren streitigen EInkommensteueränderungsbescheid vom 05.03.2002 für 1999 und erstmaligen Einkommensteuerbescheid vom 05.03.2002 für 2000 setzte das FA die Einkommensteuer 1999 auf 149.303 DM (= 76.337,41 EUR) und die Einkommensteuer 2000 auf 93.187 DM (= 47.645,76 EUR) unter Vorbehalt der Nachprüfung fest. Der zuvor mit Einspruch angegriffene Einkommensteuervorauszahlungsbescheid vom 02.02.2001 hat sich durch diese Jahresveranlagung erledigt. Unter Berücksichtigung von Lohnsteuerabzugsbeträgen und vorausgezahlten Beträgen musste der Ast. für 1999 noch 18.186,65 EUR Einkommensteuer, 998 EUR Zinsen zur Einkommensteuer und 1.000,29 EUR Solidaritätszuschlag, insgesamt also 20.184,94 EUR nachzahlen. Für das Jahr 2000 ergab sich ein Erstattungsanspruch in Höhe von 57.188,93 EUR an Einkommensteuer und 3.409,29 EUR Kirchensteuer, insgesamt also 60.598,22 EUR.

In den Bescheiden sah das FA von den negativen Einkünften in Höhe von 1.311.115 DM (1999) und 443.041 DM (2000) gemäß § 2 Abs. 3 EStG Beträge in Höhe von 757.557 DM (1999) und 106.989 DM (2000) als nicht aus...

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