rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO bei Versäumung der Anzeigefrist des § 18 Abs. 3 Satz 1 GrEStG. zweiwöchige Anzeigefrist des § 18 Abs. 3 Satz 1 GrEStG nicht verlängerbar. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: II R 22/23)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Unter dem Rechtsbegriff „jemand” im Sinne des § 110 Abs. 1 AO, der Wiedereinsetzung beantragen kann, sind die – tatsächlichen oder potentiellen – Beteiligten eines steuerlichen Verwaltungsverfahrens im Sinne des § 78 AO zu verstehen; Beteiligte sind erstens der jeweilige Antragsteller und Antragsgegner eines Verfahrens, zweitens derjenige, an den die Finanzbehörde im Einzelfall den verfahrensabschließenden Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat.

2. Gerichte, Behörden und Notare, die die Anzeigepflicht nach § 18 Abs. 3 Satz 1 GrEStG zu erfüllen haben, sind insoweit nicht Beteiligte eines Hauptsacheverfahrens, in dessen Rahmen über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entschieden werden könnte, und damit nicht „jemand” im Sinne § 110 Abs. 1 AO; bei Versäumung der Zweiwochenfrist des § 18 Abs. 3 Satz 1 GrEStG kann ihnen daher keine Wiedereinsetzung gewährt werden (im Streitfall: Fristversäumnis einer Notarin).

3. Die Frist des § 18 Abs. 3 GrEStG kann nicht gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 AO (rückwirkend) verlängert werden, da es sich weder um eine von einer Finanzbehörde gesetzte Frist noch – anders als bei der Frist des § 19 Abs. 3 GrEStG – um eine Steuererklärungsfrist handelt.

 

Normenkette

AO § 78 Nrn. 1-3, § 109 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1, § 110 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; GrEStG § 1 Abs. 3 Nrn. 1-2, § 16 Abs. 5, § 18 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1, § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, Abs. 3

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten, ob der Klägerin, einer Notarin, Wiedereinsetzung in die Frist des § 18 Abs. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) gemäß § 110 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) zu gewähren ist.

Am 27. Oktober 2020 beurkundete die Klägerin die Teilerbauseinandersetzung einer aus Bruder (B) und Schwester (S) bestehenden Erbengemeinschaft. Zum Nachlass gehörten 50 % der Anteile an der grundbesitzenden GmbH1, sowie 50 % der Anteile an der grundbesitzenden GmbH2. Die Teilerbauseinandersetzung erfolgte dergestalt, dass B, der vor dem Erbfall zu 50 % an GmbH1 beteiligt war, die restlichen 50 % Anteile an GmbH1 zum Alleineigentum erwarb. S, die vor dem Erbfall zu 50 % an GmbH2 beteiligt war, erwarb die restlichen 50 % der Anteile an GmbH2 zum Alleineigentum. Durch die Vereinigung von jeweils 100 % der Anteile an der GmbH1 in der Hand des B bzw. an der GmbH2 in der Hand der S wurden die Voraussetzungen des grunderwerbsteuerrechtlichen Erwerbstatbestands des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erfüllt.

Weder B noch S zeigten dem beklagten Finanzamt (FA) die notariell beurkundeten Anteilserwerbe an. Die dem FA vom Notariat der Klägerin übersandte Urkunde der Teilerbauseinandersetzung vom 27. Oktober 2020 ging am 23. November 2020 beim FA ein. Die der Urkunde beiliegende Anzeige des Notariats der Klägerin trägt das Datum des 12. November 2020. Ausweislich eines Vermerks in der Beiakte des Notariats zur Urkunde vom 27. Oktober 2020 wurde diese Anzeige am 16. November 2020 an das FA versandt.

Nachdem B und S vom FA darauf hingewiesen worden waren, dass durch die Vereinigung von 100 % der Anteile an GmbH1 in der Hand des B, bzw. an GmbH 2 in der Hand der S mit Vertrag vom 27. Oktober 2020 jeweils die Voraussetzungen des Erwerbstatbestandes des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erfüllt sind, machten B und S den Erwerbsvorgang rückgängig. Am 18. Dezember 2020 beurkundete die Klägerin den Aufhebungs- und Rückerwerbsvertrag, mit dem B und S die Urkunde vom 27. Oktober 2020 vollumfänglich aufhoben.

Trotz dessen Rückgängigmachung, setzte das FA für die Erwerbsvorgänge jeweils vom 27. Oktober 2020 Grunderwerbsteuer gegen B und S fest. Die Anträge von B und S auf Nichtfestsetzung der Grunderwerbsteuer gem. § 16 Abs. 2 GrEStG lehnte das FA unter Hinweis auf § 16 Abs. 5 GrEStG ab. Weder die Anteilserwerber B und S noch die Klägerin hätten den Erwerbsvorgang innerhalb der Fristen der §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 3 GrEStG angezeigt.

Mit Schreiben vom 10. Februar 2021 stellte die Klägerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung gem. § 110 Abs. 1 AO, hilfsweise auf rückwirkende Verlängerung der Anzeigefrist gem. § 109 Abs. 1 AO. Sie habe mit Schrecken festgestellt, dass im Zusammenhang mit der Urkunde vom 27. Oktober 2020 die Anzeige der Anteilsübertragung an das FA erst am 12. November 2020 und damit außerhalb der zweiwöchigen Anzeigefrist des § 18 ausgefertigt worden sei. Ein Vermerk in der Beiakte belege die Absendung der Anzeige an das FA am 16. November 2020. Sie habe die verspätete Anzeige nicht zu vertreten. Das Verschulden der in diesem Beurkundungsfall zuständigen und sonst zuverlässigen Sachbearbeiterin könne angesichts der nicht zu beanstande...

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