Entscheidungsstichwort (Thema)

Zweifel an der Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG (2007) mit Europarecht

 

Leitsatz (redaktionell)

Es ist zweifelhaft, ob die in § 50d Abs. 3 EStG 2007 zur Verhinderung von Missbrauch aufgestellten Kriterien, die zu einer Versagung der Erstattung bzw. Freistellung von Kapitalertragsteuer führen, mit der Niederlassungsfreiheit als primärem Gemeinschaftsrecht und der Mutter-Tochter-Richtlinie als sekundärem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.

 

Normenkette

EG Art. 43, 48; AEUV Art. 49, 54, 267; EStG § 43; EG 90/435/EWG Art. 1 Abs. 2; EStG § 50d Abs. 3

 

Nachgehend

EuGH (Urteil vom 20.12.2017; Aktenzeichen C-504/16)

 

Tatbestand

A.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Rechtsvorgängerin der Klägerin im Hinblick auf Dividendenausschüttungen ihrer in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaft in 2007 ein Anspruch auf Erstattung von Kapitalertragsteuer zusteht. Dabei ist insbesondere streitig, ob § 50d Abs. 3 EStG in der ab 2007 geltenden Fassung dem entgegensteht.

Verfahrensverlauf

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin war eine in den Niederlanden ansässige Kapitalgesellschaft. Sie war seit 2004 am Nennkapital der A … GmbH (im Folgenden: A GmbH) mit Sitz in Q (Deutschland) beteiligt. Jedenfalls ab 2005 belief sich ihre Beteiligungsquote auf 26,5 %, ab 2008 auf 34,54 %. Die A GmbH ist ein operativtätiges Unternehmen in der Entwicklung, Herstellung und dem Vertrieb von …. Zur A-Unternehmensgruppe gehören verschiedene im Bereich der … tätige in- und ausländische Gesellschaften.

Gesellschafter der Rechtsvorgängerin der Klägerin war zu 100 % Herr E, der seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hatte.

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin schloss im März 2007 einen Mietvertrag mit der M BV über die Anmietung eines Büros in T (Niederlande) ab. Sie hatte in den Jahren 2007 und 2008 zwei Mitarbeiter.

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin hielt neben ihrer Beteiligung an der A GmbH (mindestens seit 2005) weitere Beteiligungen an Kapitalgesellschaften (F … GmbH mit Sitz in Q/BRD [33,85 %]; R Ltd, mit Sitz in G/UK [100 %]; ab 2008: W S.A., N/Frankreich [39 %] und A … USA Inc., K/USA [52 %]).

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin hatte der R Ltd., einer Tochtergesellschaft, ein Darlehen gewährt, das im Jahre 2006 i.H.v. 259.902 € und im Jahre 2008 i.H.v. 243.122 €

validierte. Darüber hinaus hat sie im Jahre 2008 der B … BV, die zum A Konzern gehörte, ein Darlehen i.H.v. 194.007 € gewährt.

Die A GmbH beschloss mit Datum vom 19. November 2007 unter anderem, einen Gewinn i.H.v. 322.999,76 € an die Rechtsvorgängerin der Klägerin auszuschütten. Sie behielt hierauf Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt 68.152,95 € (KapESt i.H.v. 64.599,95 € zzgl. SolZ i.H.v. 3.553,00 €) ein und führte diese am 22. November 2007 an das Finanzamt V ab.

Antrags und Einspruchsverfahren

Mit Antrag vom 16. Mai 2008 (Posteingangsdatum: 19. Mai 2008) begehrte die Rechtsvorgängerin der Klägerin im Hinblick auf die Ausschüttung vom 19. November 2007 die Freistellung von der deutschen Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag gemäß § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. § 43b EStG i.H.v. 68.152,95 €.

Mit Bescheid vom 8. Oktober 2009 lehnte der Beklagte die begehrte Kapitalertragsteuererstattung ab und begründete dies damit, dass im Hinblick auf § 50d Abs. 3 EStG angeforderte Unterlagen bzw. Informationen nicht eingereicht worden seien.

Der hiergegen fristgemäß eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 5. September 2012 als unbegründet zurückgewiesen.

Gegen die Einspruchsentscheidung erhob die Klägerin fristgemäß Klage.

Klageverfahren: Beteiligtenvortrag

Im Zusammenhang mit den Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG trägt die Klägerin vor, dass die Struktur der Unternehmensgruppe darauf beruhe, dass sich mit der fortschreitenden Internationalisierung der A-Unternehmensgruppe die Frage gestellt habe nach dem organisatorisch und betriebswirtschaftlich sinnvollsten Standort für eine Holdinggesellschaft, unter der die in- und ausländischen Unternehmen der A-Gruppe gebündelt werden sollten. Insbesondere im Hinblick auf etwaiges benötigtes Risikokapital sei von einem deutschen Holding-Standort Abstand genommen worden, da gegenüber dem Standort Niederlande in Deutschland in 2004/2005 deutlich schlechtere Finanzierungsmöglichkeiten bestanden hätten. Zudem sollten eigenständige Verluste der Auslandsgesellschaften nicht mehr unterhalb einer deutschen Gesellschaft gezeigt werden. Die Einrichtung von zwei niederländischen Holdinggesellschaften habe bezweckt, neben dem den Einfluss von Herrn E sichernden H-Strang (Rechtsvorgängerin der Klägerin) einen weiteren gesellschaftsrechtlichen Strang zu etablieren, über den gegebenenfalls neue Kapitalgeber oder Gesellschafter angeworben werden könnten. Insoweit sei im Konzern neben der Rechtsvorgängerin der Klägerin auch die O NV (Niederlande) als Holdinggesellschaft eingesetzt worden. Hintergrund der Zwischenschaltung der O NV sei zudem gewesen, durch die geographische N...

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