Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendbarkeit der Nichtigkeitsentscheidung des BVerfG zur Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze in § 17 EStG auf 10% auf Beteiligungen unter diesem Wert, Zulässigkeit einer Verständigung über die Beteiligungshöhe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.07.2010 (2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE 127, 61), nach der die Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze in § 17 Abs. 1 EStG von 25% auf 10% durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 partiell nichtig ist, erstreckt sich auch auf Beteiligungen, die bei Verkündung des Gesetzes noch unter 10% lagen.

2. Das Finanzamt wird im finanzgerichtlichen Erörterungstermin durch einen seiner Sachgebietsleiter auch bei Abschluss einer tatsächlichen Verständigung wirksam vertreten.

3. Eine tatsächliche Verständigung über die steuerlich relevante Höhe einer Aktienbeteiligung ist nicht unzulässig, weil sie zu einem offenbar unzutreffendem Ergebnis führt, wenn bei dem Erwerb der Beteiligung handelsrechtliche Meldepflichten nicht erfüllt worden sind.

4. Eine finanzgerichtliche Entscheidung ist nicht allein deswegen von grundsätzlicher Bedeutung, weil sich zu der entscheidenden Rechtsfrage innerhalb der Fachliteratur nur in einer einzelnen Publikation eine mit einer Begründung versehene Gegenmeinung finden lässt und diese Begründung fehlerhaft ist.

 

Normenkette

AO § 39 Abs. 2 Nr. 1, § 159 Abs. 1; EStG 1999 §§ 15, 17 Abs. 1 Sätze 1, 4; FGO § 115 Abs. 2; StEntlG 1999/2000/2002; WpHG 1998 § 21 Abs. 1 S. 1, § 22 Abs. 1, § 28 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 25.09.2017; Aktenzeichen IX B 1/17)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten war zunächst allein streitig, ob Gewinne der Kläger aus der Veräußerung von Aktien der X Beteiligungs- und Grundbesitz AG (im Folgenden: X-AG) in vollem Umfang der Besteuerung gemäß § 17 EStG unterliegen oder nur in Höhe der ab dem 31.03.1999 eingetretenen Wertsteigerungen. Dabei stritten die Beteiligten im Wesentlichen darüber

  • ob der maßgebliche Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.07.2010 zur Wirkung der gesetzlichen Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze (2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86) alle Beteiligungsverhältnisse bis 25 % betrifft oder nur die von mindestens 10 % und
  • ob die Beteiligungen des Klägers und der Klägerin an der X-AG zum Stichtag 31.03.1999 jeweils mindestens 10 % betrugen.
  • Im Anschluss an den gerichtlichen Erörterungstermin streiten die Beteiligten auch darüber,
  • ob die Beteiligten eine wirksame tatsächliche Verständigung im Hinblick auf die Höhe der Beteiligungen der Kläger getroffen haben und ob der Beklagte verbindlich zugesagt hat, den Einkommensteuerbescheid 1999 im Hinblick auf die Veräußerungsgewinne des Klägers zu Gunsten der Kläger zu ändern.

Zudem hat der Beklagte nunmehr streitig gestellt,

  • ob die Veräußerungsgewinne nicht innerhalb einer gewerblichen Tätigkeit der Kläger bzw. des Klägers erzielt wurden und deswegen gemäß § 15 EStG zu versteuern sind.

1.

Die Kläger sind Eheleute und waren jeder für sich Aktionäre der X-AG.

... . Nach dem 31.03.1999 erhöhte sich infolge von Zukäufen und von Kapitalerhöhungen der Bestand beim Kläger ... und bei der Klägerin ...

Der Kläger verkaufte ... (im Herbst) rund ... % seiner X-Aktien mit einem Gewinn von ... DM. Die Klägerin verkaufte in der Zeit ... rund ... % ihrer X-Aktien mit einem Gewinn von ... DM. Ihre restlichen X-Aktien veräußerten die Kläger im Jahr 2000. Das Einspruchsverfahren für das Jahr 2000 ruht.

2.

a) Die Kläger erklärten in ihrer Steuererklärung für 1999 ihre Gewinne aus der Veräußerung der X-Aktien in voller Höhe und erläuterten, die Gewinne seien nach § 17 EStG steuerpflichtig, weil die Beteiligungen wegen Überschreitens der 10 %-Grenze wesentlich geworden seien.

Im Zusammenhang mit der - hier nicht streitigen - Veräußerung von Bezugsrechten für X-Aktien durch den Kläger am ... (Frühsommer) 1999 heißt es in der Steuererklärung, die Beteiligung des Klägers an der X-AG sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht wesentlich gewesen, sondern habe unter 10 % gelegen.

b) Der Beklagte veranlagte die Kläger im Hinblick auf die Veräußerungsgewinne der X-Aktien erklärungsgemäß mit Einkommensteuerbescheid vom 22.08.2001.

c) Die Kläger legten mit Schreiben vom 11.09.2001 Einspruch ein wegen jetzt nicht mehr streitiger Punkte. ...

d) Zu einer weiteren Änderung der Einkommensteuerfestsetzung kam es aufgrund einer tatsächlichen Verständigung, die im Rahmen von steuerlichen Außenprüfungen bei den Klägern und dem Unternehmen "KG" am ... 2004 geschlossen wurde. Alleiniger Kommanditist der KG war der Kläger. Die KG hielt zunächst ... % an der X-AG. Zum Ende des Jahres 1999 kam es zu einem An- und dann Verkauf von weiteren X-Aktien mit einem hohen Verlust. Gegenstand der Verständigung war, dass ein Teil dieser Geschäfte für die KG nicht betrieblich gewesen, sondern der Sphäre des Klägers zuzurechnen und dort in die Gewinnermittlung nach § 17 EStG einzubeziehen sei. Sein An...

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