Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs bei Leistung von Ist-Versteuerer Steht Art. 167 MwStSysRL einer nationalen Regelung entgegen, nach der das Recht zum Vorsteuerabzug auch dann bereits im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes entsteht, wenn der Steueranspruch gegen den Leistenden nach nationalem Recht erst bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht?

 

Leitsatz (amtlich)

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Steht Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem einer nationalen Regelung entgegen, nach der das Recht zum Vorsteuerabzug auch dann bereits im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes entsteht, wenn der Steueranspruch gegen den Lieferer oder Dienstleistungserbringer nach nationalem Recht erst bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht und das Entgelt noch nicht gezahlt worden ist?

2. Für den Fall, dass die erste Frage verneint wird: StehtArt. 167 der Richtlinie 2006/112/EG vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem einer nationalen Regelung entgegen, wonach das Recht zum Vorsteuerabzug nicht für den Besteuerungszeitraum geltend gemacht werden kann, in dem das Entgelt bezahlt worden ist, wenn der Steueranspruch gegen den Lieferer oder Dienstleistungserbringer erst bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht, die Leistung bereits in einem früheren Besteuerungszeitraum erbracht worden ist und eine Geltendmachung des Vorsteueranspruchs für diesen früheren Steuerzeitraum nach nationalem Recht wegen Verjährung nicht mehr möglich ist?

II. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.

 

Normenkette

UStG § 13 Abs. 1 Nr. 1 lit. b, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 20; MwStSysRL Art. 167

 

Nachgehend

EuGH (Urteil vom 10.02.2022; Aktenzeichen C-9/20)

 

Tatbestand

A. Sachverhalt und Streitgegenstand

Die Beteiligten streiten darum, ob der Vorsteuerabzugsanspruch des Leistungsempfängers nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des deutschen Umsatzsteuergesetzes (UStG) bereits mit der Ausführung der Leistung oder erst mit der Entrichtung des Entgelts entsteht, wenn der Leistungserbringer die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten berechnet (sogenannter Ist-Versteuerer).

Die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, erzielte in den Streitjahren Umsätze mit der Vermietung eines Gewerbegrundstücks. Die Klägerin hatte dieses Grundstück ihrerseits gemietet. Sowohl die Klägerin als auch ihre Vermieterin hatten wirksam auf die Steuerbefreiung für derartige Vermietungsumsätze verzichtet und somit zur Umsatzsteuer optiert. Beiden war von der Finanzverwaltung gemäß § 20 UStG gestattet worden, die Steuer nicht nach vereinbarten Entgelten, sondern nach den vereinnahmten Entgelten zu berechnen. Mit dem Mietvertrag verfügte die Klägerin über eine ordnungsgemäße Dauerrechnung.

Ab dem Jahr 2004 wurden die Mietzahlungen der Klägerin teilweise gestundet. Dies hatte zur Folge, dass die Klägerin in den Streitjahren 2013 bis 2016 Zahlungen für die Grundstücksüberlassung in den Jahren 2009 bis 2012 leistete. Im Einzelnen lassen sich die Zahlungen wie folgt zuordnen:

2013:

22.382,00 Euro

für Mietzeitraum 2009

16.898,00 Euro

für Mietzeitraum 2010

39.280,00 Euro

2014:

14.075,98 Euro

für Mietzeitraum 2010

25.204,02 Euro

für Mietzeitraum 2011

39.280,00 Euro

2015:

5.769,30 Euro

für Mietzeitraum 2011

1.370,70 Euro

für Mietzeitraum 2012

7.140,00 Euro

2016:

7.140,00 Euro

für Mietzeitraum 2012

7.140,00 Euro

Außerdem wurde der Klägerin im Jahre 2016 die restliche Schuld in Höhe von 22.462,62 Euro durch die Vermieterin erlassen.

In den genannten Zahlungen waren jeweils 19% Umsatzsteuer enthalten. Die Klägerin machte ihren Vorsteuerabzugsanspruch - unabhängig von dem Mietzeitraum, für den die Zahlungen bestimmt waren - immer in dem Voranmeldezeitraum bzw. Kalenderjahr geltend, in dem die Zahlung erfolgte.

Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Außenprüfung wurde dieses Vorgehen beanstandet. Die Prüferin vertrat die Auffassung, dass der Vorsteuerabzugsanspruch bereits mit der Ausführung des Umsatzes - hier der monatsweisen Überlassung des Grundstücks - entstanden sei und daher jeweils für den entsprechenden Zeitraum hätte geltend gemacht werden müssen. In der Folge ergingen am 15. Juni 2017 entsprechende Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2011 bis 2015 sowie entsprechende Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide für 2016. Darin wurde die Vorsteuer nicht mehr anhand der in jedem Jahr geleisteten Zahlungen, sondern anhand der für jedes Jahr vereinbarten Miete berechnet. Danach ergaben sich für die Streitjahre folgende steuerliche Auswirkungen:

  • 2013: weniger Vorsteuer bzw. Mehrsteuer in Höhe von 6.271,60 Euro
  • 2014: weniger Vorsteuer bzw. Mehrsteuer in Höhe von 6.271,60 Euro
  • 2015: weniger Vorsteuer bzw. Mehrsteuer in Höhe von 1.140,00 Euro
  • 2016: weniger Vorsteuer bzw. Mehrsteuer in Höhe von 4.726,47 Euro

Für die Jahre 2011 und 20...

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