Entscheidungsstichwort (Thema)

Einheitsbewertung des Grundvermögens – Diskrepanz der Baukosten zwischen Einheitswert- und Einkommensteuererklärung

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Einkommensteuerlicher Erhaltungs- und Herstellungsaufwand ist nicht zwingend in gleichem Umfang bei der Einheitsbewertung anzusetzen.
  2. Eine Diskrepanz zwischen den geschätzten Baukosten konkret bezeichneter Baumaßnahmen in der Einheitswerterklärung und den tatsächlich angefallenen Baukosten laut Einkommensteuererklärung stellt daher kein unlauteres Mittel in Gestalt arglistiger Täuschung i. S. von § 172 Abs. 1 Nr. 2 c AO dar.
  3. Diese Diskrepanz rechtfertigt auch keine Änderung der Einheitswertfeststellung wegen nachträglich bekannt gewordenen rechtserheblicher Tatsachen i. S. von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, wenn aus der vor Erlass des ursprünglichen Bescheides beigezogenen Bauakte hervorgeht, dass mit weiteren Umbaukosten zu rechnen ist, und die Bewertungsstelle dennoch keine weiteren Ermittlungen anstellt.
  4. Angesichts des im Grundgesetz verbürgten Schutzes der Unverletzlichkeit der Wohnung ist eine Ortsbesichtigung erst dann erforderlich, wenn das Finanzamt die unterschiedliche Höhe der Baukosten/Modernisierungskosten laut Einkommensteuerakte und laut Einheitswerterklärung durch weitere Auskünfte des Stpfl. nicht sachgerecht aufklären kann.
  5. Eine Wertfortschreibung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse und eine in der Anwendung des Sachwertverfahrens liegende fehlerbeseitigende Fortschreibung stehen hinsichtlich des zulässigen Fortschreibungszeitpunkts selbständig nebeneinander.
  6. Eine durch Baumaßnahmen wesentlich verlängerte Lebensdauer des Gebäudes i. S. d. § 80 Abs. 3 BewG ist der Bewertung nur zugrunde zu legen, wenn das Objekt in seinen wichtigsten Bauteilen, wie Mauern, Decken, Treppen, Dach erneuert oder verbessert worden ist. Bauliche Maßnahmen an nicht tragenden Bauteilen verlängern die Lebensdauer eines Gebäudes nicht.
  7. Die Besteuerung des selbstgenutzten Wohneigentums durch die Grundsteuer verstößt nicht gegen das Grundgesetz.
  8. Die Vorschriften über die Einheitsbewertung und die Grundsteuer sowie die gegenwärtige Praxis der Grundsteuererhebung sind verfassungsgemäß.
 

Normenkette

AO §§ 99, 172 Abs. 1 Nr. 2c, § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 351 Abs. 2; BewG 1991 § 22 Abs. 4 S. 3 Nrn. 1-2, § 76 Abs. 3 Nr. 1, § 80 Abs. 3, § 83; GG Art. 3, 13

 

Streitjahr(e)

2002

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 13.04.2010; Aktenzeichen 1 BvR 3515/08)

BFH (Beschluss vom 04.11.2008; Aktenzeichen II B 35/08)

 

Tatbestand

Streitig ist die Wertfortschreibung des Grundstückes A-Stadt, A-Straße 1 auf den 1. Januar 2002, ferner, ob die Kläger auch gegen den Grundsteuermessbetragsbescheid auf den 1. Januar 2002 mit solchen Argumenten Klage erheben können, die sich gegen die Höhe des Einheitswertes richten und ob der Grundsteuermessbescheid verfassungsgemäß ist.

Die Kläger kauften dieses bebaute Grundstück im Jahr 1999 und wurden im Mai 2000 im Grundbuch als Eigentümer mit je ½-Anteil eingetragen.

Der Beklagte führte daraufhin eine Zurechnungsfortschreibung auf den 1. Januar 2001 durch und rechnete das Grundstück den Klägern jeweils zu ½-Anteil zu. Der bisherige Einheitswert von 54.600 DM und die bisherige Grundstücksart „Zweifamilienhaus” blieben unverändert.

Das Wohnhaus auf dem Grundstück A-Straße 1 ist in den Jahren 1935/36 errichtet worden. Das Gebäude bestand von vornherein aus einem ausgebauten Erdgeschoss und einem ausgebauten Obergeschoss. Bad, Zentralheizung und Warmwasserversorgung waren vorhanden. Daraufhin wurde das Objekt auf den 1. Januar 1936 als Einfamilienhaus bewertet. Mit Bescheid auf den 1. Januar 1968 vom 26. Januar 1968 ist eine Artfortschreibung für das Mietwohngrundstück A-Straße 36, bisherige Grundstücksart „Einfamilienhaus”, durchgeführt worden, weil durch bauliche Veränderungen so der Bescheid das Grundstück nunmehr zwei Wohnungen enthalte. Nach dem Inhalt der Einkommensteuerakten sei in dem Einfamilienhaus im Jahr 1967 ein Wohnungsabschluss erstellt worden. Die Kosten hierfür hätten sich auf 26.452 DM belaufen. Für die neue, abgeschlossene Wohnung sei im Jahr 1967 ein Betrag von 3.000 DM Miete vereinnahmt worden. Vermietet worden waren nach den Feststellungen des Finanzamtes 50 m² und zwar Küche, Schlafzimmer, Wohnzimmer, Flur und Bad und selbstbewohnt der übrige Teil des Hauses, ca. 260 m². Mit Schreiben vom 14. März 1966 hatte die damalige Grundstückseigentümerin für das Haus A-Straße 1 einen Bauantrag zwecks Einbau einer Einliegerwohnung im Obergeschoss gestellt. Einem Vermerk in der Bauakte vom 11. Mai 1967 zufolge war das Bauvorhaben fertig gestellt und die Schlussabnahme durchgeführt worden.

Mit Einheitswertbescheid vom 30. Oktober 1970, Hauptfeststellung auf den 1. Januar 1964, war für das Einfamilienhaus A-Straße 1 zum 1. Januar 1964 der Einheitswert auf 72.700 DM im Ertragswertverfahren (Jahresrohmiete: 5.943 DM) festgestellt worden.

Mit Wert- und Artfortschreibungsbescheid auf den 1. Januar 1974 vom 12. Dezember 1975 wurde der Einheitswert auf...

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