Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Vorsteuerabzug aus Scheinrechnungen im Billigkeitswege

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Leistungsempfänger, dem keine Leistungen erbracht werden (oder jedenfalls nicht die Leistungen, über die abgerechnet wurde), hat im Regelfall keinen Anlass, ihm in Rechnung gestellte Umsatzsteuer zu begleichen. Er ist daher weniger schutzwürdig als andere Leistungsempfänger, bei denen der Vorsteuerabzug (ohne die Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen) verlorengeht, weil die umsatzsteuerliche Würdigung hinsichtlich des Leistungsorts, der Steuerfreiheit oder der Steuerbarkeit am Ende nicht den ursprünglichen Erwartungen entspricht.

2. Bei fehlender Leistungserbringung besteht ein herabgesetzter Vertrauensschutz. Die Mitgliedstaaten versagen bei fehlender Leistungserbringung zu Recht auch dann den Vorsteuerabzug des Rechnungsempfängers, wenn aufgrund der Haftung nach § 14c UStG noch ein Steueranspruch gegen den Rechnungsaussteller besteht.

3. Ein Vorsteuerabzug aus Scheinrechnungen im Billigkeitswege kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn der Rechnungsempfänger die Zahlungsunfähigkeit des Rechnungsausstellers nicht belegt hat.

 

Normenkette

UStG § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 14c; AO §§ 163, 5; FGO § 102

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 22.08.2019; Aktenzeichen V R 50/16)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt im Billigkeitswege die Gewährung von Vorsteuer und Erstattungszinsen.

Die Klägerin ist ein vornehmlich im Bereich des Tiefbaus und der Bodensanierung geschäftstätiges, in C… geschäftsansässiges Bauunternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft mbH. Überwiegend für im Bundesland Sachsen-Anhalt belegene Industriebaustellen zog sie eine einzelunternehmerisch geführte, als B… firmierende Subunternehmung mit Sitz in D… – fortan: HC – heran. Grundlage war ein in zwei Entwürfen vorliegender Dienstvertrag – fortan: DV – zwischen der Klägerin und der HC, demnach die HC ab dem 01.01.1998 für die Klägerin im Geschäftsbereich Ost beratend tätig werden, insbesondere die Koordination von Angebotskalkulationen, die Arbeitsvorbereitung und die Durchführung leisten sollte (§ 1 DV). HC gebührte gegenüber der Klägerin dabei für die Abstellung eines Mitarbeiters ein monatliches Pauschalhonorar in Höhe von 14.480,– DM zuzüglich Mehrwertsteuer (§ 3 Abs. 1 DV).

Inhaberin dieses Unternehmens war Frau E…. Als technischen Angestellten stellte sie laut Ehegatten-Arbeitsvertrag vom 15.12.1997 mit Wirkung vom 01.01.1998 ihren Ehegatten, Herrn F…, bei einer regulären Arbeitszeit von 20 Stunden/Woche für ein (Brutto-)Monatsgehalt in Höhe von 1.800,– DM an.

Nach einer von F… und der Klägerin als L.(etter)O.(f)I.(ntent) überschriebenen Erklärung vom 10.12.1997 sollte er ab dem 01.01.1998 für ein monatliches (Brutto-)Honorar in Höhe von 14.800,– DM, einem 13. Gehalt als Weihnachts- und einem halben Gehalt als Urlaubsgeld auch für die Klägerin als freier Mitarbeiter tätig sein. Vorgesehen waren hiernach des Weiteren ungeachtet einer 6-monatigen Probezeit eine Kündigungsfrist von 12 Monaten zum Quartalsende, ein 30-tägiger Urlaubsanspruch nach Tarifvertrag Bau, eine 6-wöchige Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle und die Abrechnung seiner Honoraransprüche über die HC.

Im Rahmen seiner Bauleitertätigkeit führte ihn die Klägerin auf ihrem betriebsinternen Verteilerstempel für bei ihr eingehende Geschäftsbriefe; insofern fand sich auf dem Eingangsstempel ein Feld mit der Bezeichnung „G…”. Einbezogen war F… des Weiteren in den Verteiler für den Empfang der Mitarbeiterneujahrsrundbriefe der Klägerin. Gegenüber den Geschäftspartnern der Klägerin trat er in deren Namen auf, indem er ihre Geschäftsschreiben mit Vertretungszusatz abzeichnete. Die Gewährung von Erholungsurlaub beantragte F… gegebenenfalls gegenüber der Klägerin; die Klägerin ihrerseits führte für F… eine Urlaubsliste und kürzte sein Urlaubskontingent um in Anspruch genommene Erholungstage.

In den Streitjahren 1998 bis 2001 stellte die HC der Klägerin jeweils mehrere, in der Regel monatliche (Subunternehmer-)Rechnungen mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer in Höhe von 33.045,66 DM (1998), 33.801,11 DM (1999), 31.236,22 DM (2000) und 42.244,61 DM (2001), insgesamt in Höhe von 140.327,60 DM (= 71.743,36 EUR). In den Streitjahren 2002 und 2003 belief sich die in den entsprechenden Rechnungen der HC ausgewiesene Umsatzsteuer auf 23.315,61 EUR (2002) bzw. 10.861,89 EUR (2003). Wegen der Rechnungsdaten und -beträge im Einzelnen nimmt das Gericht auf die Vereinbarung vom 14.05.2013 (Bl. 22 f. Gerichtsakte –GA–) Bezug. Die aus den Streitjahren 1998 bis 2002 datierenden Rechnungen beglich die Klägerin vollständig. Von den aus dem Streitjahr 2003 herrührenden Rechnungen ließ die Klägerin zwei Rechnungen unbezahlt. Der auf sie entfallende Umsatzsteuerbetrag beträgt 2.443,21 EUR.

Mit ihren Umsatzsteuererklärungen 1998 bis 2001 machte die Klägerin aus den Rechnungen der HC den Vorsteuerabzu...

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