Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohnsteuerhaftung. Zufluss und Steuerpflicht von Abfindungsleistungen an ausscheidende Arbeitnehmer im Rahmen eines Sozialplans bei Gutschrift auf Zeitwertkonten (Langzeitkonten) und anschließender Übertragung an die Deutsche Rentenversicherung Bund

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Abfindungsbeträge, die an die Arbeitnehmer weder bar ausgezahlt noch deren Bankkonten gutgeschrieben wurden, sind zugeflossen, wenn die Arbeitnehmer mit der einvernehmlichen Zuführung ihrer mit Beendigung ihres Dienstverhältnisses fällig gewordenen Abfindungsbeträge auf ihre bestehenden Langzeitkonten die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die betreffenden Beträge erlangt haben.

2. Die an sich nach § 3 Nr. 53 EStG steuerbefreite Übertragung der um die Abfindungen aufgestockten Wertguthabenkonten der Arbeitnehmer auf die Deutsche Rentenversicherung Bund vermag mangels wirksam abgeschlossener Wertguthabenvereinbarungen an der Lohnsteuerpflicht nichts zu ändern.

3. Die im Streitfall zwischen der Klägerin und den Arbeitnehmern im Zusammenhang mit der Kündigung der Beschäftigungsverhältnisse abgeschlossenen Wertguthabenvereinbarungen sind unwirksam, weil der von den Beteiligten verfolgte Vertragszweck nicht erreicht werden konnte und es den Vereinbarungen von vornherein an einer Geschäftsgrundlage fehlte.

4. Abfindungen, die aus Anlass der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses als Entschädigung für künftig entgehende Einnahmen geleistet werden, sind kein Arbeitsentgelt im Sinne des § 7b Abs. 1 Nr. 3 SGB IV.

 

Normenkette

EStG § 42d Abs. 1 Nr. 1, § 19 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Nr. 53, § 11 Abs. 1 S. 4, § 38a Abs. 1 S. 3; SGB IV § 7b Abs. 1 Nr. 3, § 7 f., § 14 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 03.05.2023; Aktenzeichen IX R 25/21)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Haftungsbescheid, mit dem die Klägerin wegen Lohnsteuer und sonstiger Lohnabzugsbeträge für die Zeit von September 2012 bis September 2014 nach § 42 d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Haftung genommen wurde.

Die Klägerin mit Sitz in C… fungiert als Vertriebsgesellschaft der B… GmbH mit Sitz in D…, die zu dem weltweit tätigen Pharmaunternehmen E… mit Sitz in … gehört. Im Zuge der Übernahme der F…-Gruppe im Jahr 2011, die ihrerseits im Jahr 2006 die G…-Gruppe erworben hatte, strukturierte die Klägerin ihren Vertriebsbereich neu. Dies hatte zur Folge, dass der Mitarbeiterstamm beider Unternehmungen von 800 auf 328 Stellen (Außen- und Innendienst), davon 238 im Außendienst, abgebaut wurde. Sukzessive sollten die bisherigen Standorte in H… geschlossen und Aufgabenbereiche am Standort in D… gebündelt bzw. fremdvergeben werden.

Im Zuge der Umstrukturierungsmaßnahmen schloss die Klägerin mit dem Betriebsrat am 19.04.2012 einen Interessenausgleich mit dem Ziel, die mit dem Personalabbau verbundenen wirtschaftlichen Nachteile abzumildern. Für den Innen- und Außendienst vereinbarten die Beteiligten (u. a.) unter § 4 „Personelle Auswirkungen”, dass den von der Betriebsänderung betroffenen Mitarbeitern für den Verlust des Arbeitsplatzes „Freiwilligen-Abfindungen” (Freiwilligenprogramm) angeboten werden, bei deren Berechnung so genannte „Erhöhte Altersfaktoren” einfließen sollten (siehe z. B. § 4 zweiter Absatz). In weiteren Betriebsvereinbarungen vom selben Tag bestimmten die Beteiligten ein Punktesystem, dass der Sozialauswahl zugrunde gelegt werden sollte und gestalteten die Ermittlung der Altersfaktoren zur Berechnung der Abfindungshöhe näher aus. Für Arbeitnehmer, die auf eine Kündigungsschutzklage verzichteten, galt nach Ziff. 2 ein Altersfaktor von 1,5. Für weitere in Ziff. 3 der Betriebsvereinbarung näher bezeichnete Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse einvernehmlich beendet wurden, sah die Betriebsvereinbarung nach Lebensalter gestaffelte Altersfaktoren vor.

In dem zwischen der Geschäftsleitung der Klägerin und ihrem Betriebsrat abgeschlossenen Sozialplan vom 19.04.2012 vereinbarten die Beteiligten in Umsetzung des Interessenausgleichs (u. a.) gemäß § 12 eine Abfindung für die bei ihr aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidenden Arbeitnehmer, welche mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wurde. Bei der Berechnung der Kündigungsfrist wurden nach Ziff. 9 des Sozialplans in Abhängigkeit von der Betriebszugehörigkeit gestaffelte Auslauffristen (von mindestens 1 bis zu maximal 5 Monate) vereinbart.

Im Falle eines Kündigungsrechtsstreits sollten die aufgrund eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleichs vom Gericht festgesetzten Abfindungen auf die „Freiwilligen-Abfindungen” angerechnet werden. Gleiches sollte für Entgeltzahlungen gelten, die aufgrund eines Kündigungsschutzprozesses über den Kündigungszeitpunkt hinaus von der Klägerin zu zahlen sind.

Den Mitarbeitern wurde nach § 11 die Möglichkeit eingeräumt, die Abfindungsleistung in das für sie geführte Langzeitkonto einzubringen. Langzeitkonte...

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