rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgabe der Steuererklärungen in elektronischer Form. wirtschaftliche Unzumutbarkeit. Kleinstbetrieb

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Ermessen der Finanzverwaltung, auf Antrag auf die Abgabe einer elektronischen Steuererklärung zur Vermeidung einer unbilligen Härte zu verzichten, ist in den Fällen einer wirtschaftlichen oder persönlichen Unzumutbarkeit im Sinne des § 150 Abs. 8 AO auf Null reduziert. Es wird ein Anspruch des Steuerpflichtigen auf den Verzicht und damit eine gebundene Entscheidung der Finanzbehörde begründet.

2. Wirtschaftliche Unzumutbarkeit liegt vor, wenn die Kosten der Umstellung auf den elektronischen Verkehr mit dem Finanzamt, wozu neben den Aufwendungen für die Anschaffung der Hard- und Software auch die Kosten für deren Einrichtung und die Wartung sowie für die Hilfestellung bei Fehlfunktionen gehören, in keiner wirtschaftlich sinnvollen Relation zu dem Betrieb, der die grundsätzliche Verpflichtung zur Abgabe elektronischer Einkommensteuererklärungen auslöst (d. h. zu den hieraus erzielten Einkünften und dem Betriebsvermögen), stehen. Von einer Unzumutbarkeit in diesem Sinne ist bei Kleinstbetrieben auszugehen.

3. Es ist für jeden Veranlagungszeitraum erneut zu prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Einreichung der Steuererklärungen in elektronischer Form vorliegen.

 

Normenkette

EStG § 25 Abs. 4; EStDV § 60 Abs. 4; AO § 150 Abs. 8

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 16.06.2020; Aktenzeichen VIII R 29/19)

 

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 26. Oktober 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Dezember 2018 verpflichtet, auf die Übermittlung der Einkommensteuererklärung für 2017 nebst Anlage EÜR per Datenfernübertragung zu verzichten.

Der Bescheid über die Zwangsgeldfestsetzung vom 26. September 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Dezember 2018 wird aufgehoben.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Befreiung von der Pflicht zur elektronischen Übermittlung der Einkommensteuererklärung nebst Einnahmenüberschussrechnung (EÜR) für 2017 (Streitjahr) sowie über ein Zwangsgeld zur Durchsetzung der Aufforderung, die Einkommensteuererklärung für 2017 nebst Anlage EÜR elektronisch einzureichen.

Der 1965 geborene Kläger ist seit 2006 als selbständiger Physiotherapeut tätig. Er hat keine Mitarbeiter und auch keine Praxis- oder Büroräume. Seine Rechnungen schreibt er auf einem Laptop mit dem Betriebssystem Windows 7. Zudem verfügt der Kläger über einen Telefonanschluss und ein Handy, aber nicht über ein Smartphone. Er verfügt nicht über einen Internetanschluss, hält aber eine E-Mail-Adresse vor, die er auch bei seiner steuerlichen Anmeldung vom 20. Oktober 2006 angab.

Der Kläger gab seine Steuererklärungen nebst Anlagen EÜR jeweils in Papierform ab, so auch die Einkommensteuererklärung für 2014. In den Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid 2014 vom 16. September 2015 wies das Finanzamt (FA) den Kläger auf die Pflicht zur elektronischen Übermittlung der Steuererklärung hin (in Form einer Bitte). Dennoch gab der Kläger die Einkommensteuererklärungen für 2015 und 2016 nebst Anlagen EÜR wiederum in Papierform ab.

Mit Schreiben vom 11. Juli 2017 wies das FA den Kläger nochmals auf die Pflicht zur elektronischen Übermittlung der Steuererklärung hin und forderte diesen auf, die elektronische Übermittlung der Einkommensteuererklärung und der Anlage EÜR für 2016 nachzuholen. Nachdem der Kläger am 14. Juli 2017 an Amtsstelle erschienen war, wurde seitens des FA ausweislich eines Aktenvermerks auf die elektronische Übermittlung verzichtet, da die Umsätze des Klägers unterhalb von 17.500 EUR lagen.

Auch die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2017 – in diesem Jahr erzielte der Kläger im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit Einnahmen in Höhe von 16.722 EUR und einen Gewinn in Höhe von 14.534 EUR – gab er beim Beklagten in Papierform auf handschriftlich ausgefülltem amtlichen Formular nebst Anlage EÜR ab, und zwar mit Eingang beim Beklagten am 28. Mai 2018.

Mit Schreiben vom 11. Juni 2018 teilte der Beklagte dem Kläger erneut mit, dass beginnend mit dem Veranlagungszeitraum 2011 eine gesetzliche Verpflichtung eingeführt worden sei, Jahressteuererklärungen elektronisch nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz zu übermitteln. Auf Papier eingereichte Steuererklärungen und Jahresabschlüsse würden als nicht abgegeben gelten. Das gelte für die Einkommensteuer für 2017 gemäß § 25 Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) und für die Anlage EÜR für 2017 gemäß § 60 Abs. 4 Einkommensteuerurchführungsverordnung (EStDV). Der Beklagte bat den Kläger daher,...

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