Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Berechnung des Solidaritätszuschlags bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit im Hinblick auf die Anrechnung der Gewerbesteuer nach § 35 EStG. Auslegung des Regelungsinhalts der Einspruchsentscheidung. Vorverfahren als Voraussetzung einer Verpflichtungsklage

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Beschränkung der Steuerermäßigung des § 35 EStG auf gewerbliche Einkünfte verletzt nicht Art. 3 Abs. 1 GG.

2. Die Minderung der tariflichen Einkommensteuer gemäß § 35 EStG um eine Pauschale für die Gewerbesteuer führt zu keiner verfassungswidrigen Ungleichbehandlung hinsichtlich der Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, bei der eine entsprechende Kürzung nicht erfolgt.

3. Die Verpflichtungsklage auf abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen ist unzulässig, wenn ein Vorverfahren nicht durchgeführt worden ist.

4. Der Regelungsinhalt einer Einspruchsentscheidung ist über den bloßen Wortlaut hinaus im Wege der Auslegung zu ermitteln.

 

Normenkette

EStG 2011 §§ 35, 15 Abs. 1 Nr. 1; AO § 118 Abs. 1, § 163; BGB §§ 133, 157; GG Art. 3 Abs. 1; FGO § 44 Abs. 1, § 45 Abs. 3, § 46

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 14.11.2018; Aktenzeichen II R 64/15)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung vorliegt, weil die Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag nicht durch Anrechnung einer fiktiven Gewerbesteuer im Hinblick auf die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit gemindert wird.

Die Kläger sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Im Streitjahr 2011 bezog der Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 47.127 EUR.

Gegen den Bescheid für 2011 über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag vom 15. Februar 2013 legten die Kläger Einspruch ein und beantragten eine fiktive Anrechnung nach § 35 Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe von 3.005,80 EUR, so dass der Solidaritätszuschlag um 165,32 EUR niedriger festgesetzt werde:

Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit Kläger

47.127,00 EUR

fiktive Gewerbesteuer

Messbetrag

791,00 EUR

Gewerbesteuer 3,8fach (Anrechnung nach § 35 EStG)

3.005,80 EUR

fiktive Entlastung Solidaritätszuschlag

165,32 EUR

Anschrift: Finanzgericht Baden-Württemberg – Senate in Stuttgart –, Postfach 10 14 16, 70013 Stuttgart

Dienstgebäude: Börsenstr. 6, 70174 Stuttgart

Fernsprecher: 0711 6685 211, Fax: 6685 299, E-Mail: Poststelle@FGStuttgart.justiz.bwl.de

Verkehrsverbindung: Stadtmitte

Der Solidaritätszuschlag begünstige Gewerbebetreibende und benachteilige alle anderen Steuerzahler mit nicht gewerblichen Einkünften. Die tarifliche Einkommensteuer werde gemäß § 35 EStG um eine Pauschale für die Gewerbesteuer ermäßigt; damit mindere sich auch die Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag. Dies führe im Ergebnis dazu, dass Gewerbetreibende weniger Solidaritätszuschlag zahlen, was einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Grundgesetz (GG) darstelle.

Im selben Schreiben vom 21. Februar 2013 beantragte der Klägervertreter, „hilfsweise den Solidaritätszuschlag entsprechend § 163 AO abweichend festzusetzen. Diesen ungerechtfertigten Zusatzvorteil der gewerblichen Einkünfte beim Solidaritätszuschlag hat der Gesetzgeber offensichtlich übersehen. Eine sachliche Rechtfertigung ist nicht zu erkennen.”

In der Teil-Einspruchsentscheidung vom 10. Mai 2013 „wegen Einkommensteuer 2011” entschied der Beklagte im Tenor: „Das Einspruchsverfahren ruht nach § 363 Abs. 2 AO hinsichtlich der Beiträge an die Bundesanstalt für Arbeit und hinsichtlich der Berücksichtigung von weiteren Vorsorgeaufwendungen (Unfall-, Haftpflicht- und Risikolebensversicherungen). Im Übrigen wird der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die teilweise Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO bleibt bestehen.”

In den Entscheidungsgründen der Einspruchsentscheidung nimmt der Beklagte auf das BFH-Urteil vom 21. Juli 2011 II R 50/09, BFH/NV 2011, 1685 Bezug. Der letzte Satz lautet wie folgt: „Aufgrund der Verfassungsmäßigkeit des § 35 EStG kann der Solidaritätszuschlag nicht abweichend nach § 163 AO festgesetzt werden.”

Dagegen richtet sich die Klage vom 27. Mai 2013, auf deren Begründung Bezug genommen wird. Die vom Beklagten in der Einspruchsentscheidung zitierte Rechtsprechung sei nicht einschlägig. Der BFH urteile dort über den Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer für 2005, während es im Streitfall um § 35 EStG in der Fassung des Jahres 2011 gehe.

Der Beklagte lehne eine abweichende Festsetzung nach § 163 Abgabenordnung (AO) mit der im Sachverhalt der Einspruchsentscheidung wiedergegebenen Begründung ab. Die Ablehnung sei rechtswidrig, da sich der Beklagte hinsichtlich des Ermessens nicht mit den in der Rechtsprechung geforderten Merkmalen auseinandersetze.

Die Kläger beantragen,

den Solidarit...

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