Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Kindergeld für behindertes Kind, welches das 18. Lebensjahr vollendet hat und das imstande ist, sich selbst zu unterhalten. Berechnung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs und des verfügbaren Einkommens des Kindes

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für ein behindertes Kind, welches das 18. Lebensjahr vollendet hat, besteht kein Anspruch auf Kindergeld, wenn dieses imstande ist, seinen gesamten notwendigen Lebensbedarf mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu bestreiten und auf elterliche Unterstüzung nicht mehr angewiesen ist.

2. Der existentielle Lebensbedarf des behinderten Kindes setzt sich zusammen aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf nach dem Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG) und dem behinderungsbedingten Mehrbedarf.

3. Der behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst Aufwendungen, die gesunde Kinder nicht haben. Dazu gehören alle mit einer Behinderung zusammenhängenden außergewöhnliche Belastungen. Werden diese nicht im Einzelnen nachgewiesen, kann der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1-3 EStG als Anhalt für den Mehrbedarf dienen.

4. Erhält ein Kind Eingliederungshilfe oder Pflegegeld aus der Pflegeversicherung, kann in der Höhe der geleisteten Zahlungen ein behinderungsbedingter Mehrbedarf angenommen werden. Der Behinderten-Pauschbetrag darf dann nicht zusätzlich als Mehrbedarf angesetzt werden.

5. Die eigenen finanziellen Mittel setzten sich aus dem verfügbaren Einkommen des Kindes und Leistungen Dritter zusammen. Das Kindesvermögen gehört nicht dazu. Berücksichtigt werden neben allgemeinen Einkünften und Bezügen auch behinderungsbedingte Bezüge abzüglich der Kostenpauschale. Hierzu zählen von Dritten ersetzte Heimkosten, Werkstattkosten, Sozialhilfe, soweit sie nicht von den Eltern zurückverlangt wird oder Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII.

6. Die Vermutung der Verwaltungsansweisung DA-FamEStG 63.3.6.3.2 Abs. 4 greift nicht, wenn dem Kind neben behinderungsbedingten Eingliederungshilfen auch Sozialhilfeleistungen zur Deckung der Kosten des Lebensunterhalts gemäß §§ 41 SGB XII gewährt wird.

7. Der Abzug des Arbeitnehmer-Pauschbetrags nach § 9a Abs. 1 S. 1 a EStG bei der Ermittlung der Einkünfte des Kindes scheidet aus, wenn das Kind keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezieht.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1-2, § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, § 33b Abs. 1, 3, § 9a Abs. 1 S. 1a; SGB XII §§ 53, 41 ff.; DA-FamEStG 63.3.6.3.2 Abs. 4

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 12.12.2012; Aktenzeichen VI R 101/10)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für das Kind X ab Januar 2005 rechtmäßig ist.

Das Kind wurde am … November 1971 geboren. In einer ärztlichen Bescheinigung des …klinikums für Psychiatrie und Neurologie vom 14. August 2003 wird zum Gesundheitszustand des Kindes ausgeführt (Bl. 58 der Kindergeldakte):

„Herr X Y leidet an einer chronifizierten schizophrenen Psychose mit ausgeprägter Zwangssymptomatik und ängstlich-depressiven Stimmungszuständen. Aufgrund der Schwere der Erkrankung ist Herr Y als erwerbsunfähig zu bezeichnen, d. h. er ist nicht in der Lage, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben. Er kann aufgrund seiner Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein, d. h. er ist außerstande, sich selbst zu unterhalten. Der Grad der MdE beträgt 100 %.”

Auf die weitere nervenärztliche Bescheinigung vom 26 Oktober 2005 wird verwiesen (Bl. 94 der Kindergeldakte).

Das Kind wird in der Tagesstätte des R-Instituts in A in der Trägerschaft der Stiftung Z. teilstationär betreut. Die Wohnunterbringung erfolgt im Rahmen eines betreuten Einzelwohnens bei der B-GmbH in A. Hierfür erhält das Kind Eingliederungshilfen nach §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch (SGB) XII in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX (Bl. 127 der Kindergeldakte). Zusätzlich werden zur Deckung der Kosten des Lebensunterhalts Sozialhilfeleistungen gemäß §§ 41 ff. SGB XII gewährt (Bl. 127 und Bl. 110 ff. der Kindergeldakte). Der Kläger leistet gemäß § 94 Abs. 2 SGB XII seit September 2005 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 26,– EUR an den Sozialhilfeträger (vgl. Bl. 84 der Kindergeldakte).

Die beklagte Familienkasse (Familienkasse) ermittelte aufgrund einer Mitteilung der Stadt A (Bl. 127 der Kindergeldakte) folgenden monatlichen Gesamtbedarf (Bl. 131 und 148 – 159 der Kindergeldakte):

Art des Bedarfs

2005

2006

Grundbedarf

640,00 EUR

640,00 EUR

teilstationäre Betreuung

824,40 EUR

824,40 EUR

betreutes Einzelwohnen

190,00 EUR

190,00 EUR

ambulante Betreuung (Weckdienst)

225,00 EUR

225,00 EUR

abzüglich Sachbezug für Verpflegung

- 78,25 EUR

- 79,20 EUR

Gesamtbedarf

1.801,15 EUR

1.800,20 EUR

Die monatlichen Bezüge des Kindes ermittelte die Familienkasse wie folgt:

Art der Einkünfte und Bezüge

2005

2006

Leistungen für teilstationäre Betreuung

824,40 EUR

824,40 EUR

Leistungen für betreutes Einzelwohnen

190,00 EUR

190,00 EUR

Leistungen für ambul...

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