Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermittlung des für die Erbschaft- und Schenkungsteuer maßgeblichen Steuersatzes: § 19 Abs. 1 ErbStG keine additive Teilmengentarifvorschrift, sondern Vollmengenstaffeltarifregelung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Steuersatztabelle in § 19 Abs. 1 ErbStG enthält einen sog. Vollmengenstaffeltarif, der den gesamten steuerpflichtigen Erwerb in vollem Umfang mit dem seiner Wertstufe als Obergrenze entsprechenden Steuersatz erfasst; die Grundsätze des BFH-Urteils v. 19.1.2017 (VI R 75/14) zur Ermittlung der zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG können nicht analog auf die Besteuerung des steuerpflichtigen Erwerbs bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer angewendet werden.

2. Der bei einem nur geringfügigen Überschreiten der jeweiligen Obergrenze des § 19 Abs. 1 ErbStG und der damit einhergehenden Erhöhung des Steuersatzes auf den gesamten steuerpflichtigen Erwerb eintretende Progressionseffekt wird durch den Härteausgleich des § 19 Abs. 3 ErbStG kompensiert; für eine Steuerberechnung dergestalt „additiver Teilmengentarif”), dass der steuerpflichtige Erwerb nach § 19 Abs. 1 ErbStG nach einem Teilmengentarif der jeweiligen Tabellenstufe errechnet wird und mehrere verwirklichte Teilmengen der Tabellenstufen addiert werden (z. B. bei Steuerklasse I, Steuersatz auf steuerpflichtigen Erwerb bis 75.000 EUR: 7 v. H.; Steuersatz auf den über 75.000 EUR hinausgehenden steuerpflichtigen Erwerb bis zu einem steuerpflichtigen Erwerb von 300.000 EUR: 11 v. H., usw.) gibt es keine gesetzliche Grundlage.

 

Normenkette

ErbStG § 19 Abs. 1, 3; EStG § 33 Abs. 3

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 20.02.2019; Aktenzeichen II B 83/18)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit steht die zutreffende Berechnung des Steuersatzes für eine Schenkung nach den gesetzlichen Vorgaben des § 19 Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG).

Der Kl hat mit notariellem Vertrag vom 13.07.2015 von seinem Vater einen Miteigentumsanteil von 1/4 an den Grundstücken X-Straße 1 und 2 in Y unentgeltlich übertragen bekommen.

Gemäß der eingereichten Schenkungsteuererklärung und den vorliegenden Feststellungen des Grundbesitzwertes durch das Finanzamt Y besteuerte der für die Schenkungsteuer zuständige Beklagte (Bekl) den Erwerb und setzte unter Berücksichtigung eines Vorerwerbs mit Bescheid vom 26.07.2017 Schenkungsteuer in Höhe von 27.148 Euro fest.

Gegen diese Festsetzung legte der Kl am 17.08.2017 Einspruch ein und begründete diesen mit der Anwendung des Steuersatzes von 11 v.H.

Gemäß § 19 Abs. 1 ErbStG würden die Steuersätze jeweils nach der Höhe des Erwerbs und der Steuerklasse zu unterschiedlichen Prozentsätzen erhoben.

Wert des steuerpflichtigen Erwerbs gemäß § 19 ErbStG:

bis einschließlich 75.000 EUR bei Steuerklasse I:

7 v.H.

bis einschließlich 300.000 EUR bei Steuerklasse I:

11 v.H.

Im Bescheid über Schenkungsteuer vom 26.07.2017 sei für den gesamten steuerpflichtigen Erwerb in Höhe von 246.800 EUR der Steuersatz laut Tabelle von 11 v.H. angewandt worden. Die Tabelle nach § 19 Abs. 1 ErbStG weise aber eindeutig aus, dass für einen Erwerb bis einschließlich 75.000 EUR der Prozentsatz 7 v.H. und für einen Erwerb im Bereich zwischen 75.000 EUR bis einschließlich 300.000 EUR der Prozentsatz 11 v.H. betrage.

In entsprechender Anwendung der Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19.01.2017, VI R 75/14, BFHE 256, 339, BStBl II 2017, 684 – ergangen zur Berechnung der zumutbaren Belastung im Sinne des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) – sei die Schenkungsteuer nach Ansicht des Kl bei Anwendung des § 19 Abs. 1 ErbStG wie folgt festzusetzen:

(I) 75.000 EUR * 7 v.H. = 5.250 EUR

(II) multipliziere man anschließend die Differenz zwischen 246.800 EUR und 75.000 EUR = 171.800 EUR mit 11 v.H. ergebe sich ein Ergebnis von 18.898 EUR

Die festzusetzende Schenkungsteuer aus (I) und (II) belaufe sich daher insgesamt auf 24.148 EUR.

Der Bekl hat mit Einspruchsentscheidung vom 24.04.2018 den Einspruch des Kl als unbegründet zurückgewiesen.

Die im Bescheid vom 26.07.2017 vorgenommene Steuerfestsetzung in Höhe von 27.148 EUR sei rechnerisch richtig und entspreche den gesetzlichen Vorgaben des § 19 ErbStG.

Abweichend von der neuen Rechtsauffassung des BFH bei der Berechnung der zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 3 Satz 1 EStG im Urteil vom 19.01.2017 sei bei der Ermittlung der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer nach § 19 Abs. 1 ErbStG der höhere Prozentsatz auf den gesamten steuerpflichtigen Erwerb nach § 10 ErbStG anzuwenden.

Der gesetzgeberische Wille, dass ein einheitlicher Prozentsatz auf den gesamten Wert des steuerpflichtigen Erwerbs anzuwenden sei, ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 19 ErbStG. Dieser sehe – im Unterschied zu § 33 Abs. 3 Satz 1 EStG – bei geringfügigen Überschreitungen der Grenzbeträge einen Härteausgleich nach § 19 Abs. 3 ErbStG vor. Die daraus resultierenden unterschiedlichen Berechnungsweisen im Rahmen des § 33 Abs. 3 EStG...

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