Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Anspruch auf Kindergeld in der vollen in § 66 Abs. 1 EStG festgelegten Höhe für in der Türkei lebende Kinder ohne Wohnsitz in Deutschland

 

Leitsatz (redaktionell)

Hat nur der aus der Türkei stammende Vater einen Wohnsitz im Inland, so hat er auch unter Berücksichtigung assoziationsrechtlicher Bestimmungen (hier: Art. 37 des Zusatzprotokolls vom 23.11.1970 zum Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei vom 12.9.1963; Art. 10 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19.9.1980 –ARB Nr. 1/80–; ARB Nr. 3/80) für seine in der Türkei lebenden und zur Schule gehenden Kinder nur Anspruch auf Kindergeld entsprechend dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei über Soziale Sicherheit, nicht aber einen Anspruch auf Kindergeld in der vollen in § 66 Abs. 1 EStG festgelegten Höhe; das gilt auch dann, wenn sowohl der Vater als auch die Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Diese Rechtslage verstößt weder gegen das Grundgesetz noch gegen Art. 48 Abs. 2 EG-Vertrag a.F. (jetzt: Art. 39 Abs. 2 EG-Vertrag).

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 3, § 66 Abs. 1; AO § 8; Assoziierungsabkommen EWG-Türkei Art. 9; EG-Vertrag Art. 39 Abs. 2; ARB Nr. 1/80 Art. 10, Nr. 3/80 Art. 2, 4 Abs. 1, Art. 18; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 15.07.2010; Aktenzeichen III R 6/08)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger (Kl) aufgrund assoziationsrechtlicher Bestimmungen das Kindergeld für seine in der Türkei lebenden Kinder in voller Höhe beanspruchen kann.

Der Kl und seine Familie sind türkischer Abstammung. Die drei Töchter wurden in Deutschland geboren, A. am 27.08.1989 und die Zwillinge B. und C. am 07.12.1991.

Der Kl ist Arbeiter und betreibt daneben seit 1994 ein Taxiunternehmen. Er wird zusammen mit seiner 1964 geborenen Ehefrau X. zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Die nach der Splittingtabelle endgültig festgesetzte ESt-Schuld belief sich 1999 auf 1.225,– EUR, 2000 auf 4.281,– EUR, 2001 auf 3.758,– EUR, 2002 auf 1.734,– EUR und 2003 auf 822,– EUR. Kinderfreibeträge wurden nur in den Jahren 2000 und 2001 und zwar in Höhe von jeweils insgesamt 5.080,– EUR (9.936,– DM) berücksichtigt.

Dem Kl, seiner Ehefrau und den drei Töchtern wurde im Sommer 1997 (Ausstellungsdatum des Personalausweises 16.09.1997) die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen. Von dem Urlaub in der Türkei im Sommer 1998 kehrte nur der Kl in die Bundesrepublik Deutschland zurück. Für seine Familie mietete er in Ankara eine große Wohnung an. Er selbst lebte abwechselnd drei Monate in Deutschland und drei Monate in der Türkei. Der Kl gab daher die bisherige Wohnung auf und mietete im Herbst 1998 in – Y – eine wesentlich kleinere Wohnung mit nur noch 1 1/2 Zimmern an.

Die Töchter besuchten mit Beginn des Schuljahres im September 1998 in der Türkei die Schule. Die Zwillinge B. und C. wurden dort eingeschult und die älteste Tochter A. wieder von der deutschen Grundschule genommen. Während der türkischen Sommerferien hielten sie sich in den Jahren 2000 und 2001 in Deutschland auf und besuchten in – Y – von Ende Juni bis Ende Juli eine deutsche Schule. Sie konnten während ihres Aufenthalts die Wohnung eines türkischen Bekannten des Kl nutzen, der sich während dieser Zeit im Heimaturlaub befand.

Seit August 2003 lebt die Familie wieder in Deutschland und die Töchter gehen hier zur Schule.

Der Kl stellte am 08.10.1998 einen Antrag auf Kindergeld für die drei Töchter. Der Beklagte (Bekl) setzte hierauf mit bestandskräftigem Bescheid vom 22.04.1999 Kindergeld in Höhe von 95,– DM (10,– DM, 25,– DM, 60,– DM) fest. Am 07.03 und 20.06.2001 reichte der Kl erneut einen Antrag auf Kindergeld ein.

Mit Bescheid vom 24.08.2001 lehnte der Bekl die Gewährung eines höheren Kindergeldes ab. Die Kinder hielten sich nur in den Ferien in Deutschland auf. Dies sei für die Begründung eines Wohnsitzes im Inland nicht ausreichend. Kindergeld könne daher nur in der Höhe festgesetzt werden, wie es dies das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30.04.1964 vorsehe.

Der Kl ließ rechtzeitig „Widerspruch” einlegen und vortragen, Kinder, die sich vorübergehend zu Ausbildungszwecken im Ausland aufhielten, hätten in der Regel weiterhin ihren Wohnsitz bei den Eltern. Der auswärtige Aufenthalt sei durch den Zweck, die Schulausbildung abzuschließen, zeitlich begrenzt und lasse daher nicht den Schluss zu, dass die Verbindung zu den Eltern unterbrochen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) behielten sogar studierende Kinder ihren Wohnsitz in der Wohnung der Eltern bei, sofern sie diese in den ausbildungsfreien Zeiten nutzten. Dies sei jeweils während der Sommerferien in der Türkei vom 15.06. bis 15.09. der...

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