Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifbegünstigung einer in 2 Jahren ausgezahlten Entlassungsentschädigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Außerordentliche Einkünfte i. S. v. § 34 Abs. 1 und 2 EStG liegen grundsätzlich nur vor, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zufließen und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen. § 34 Abs. 1 EStG ist trotz Zuflusses in 2 Veranlagungszeiträumen nach der BFH-Rechtsprechung u.a. dann anwendbar, wenn der Steuerpflichtige in einem Veranlagungszeitraum nur eine geringfügige Teilleistung erhalten hat und die ganz überwiegende Hauptentschädigungsleistung in einem Betrag in einem anderen Veranlagungszeitraum ausgezahlt wird.

2. Wann von einer solchen unschädlichen geringfügigen Teilleistung auszugehen ist, bestimmt sich nach dem Vorliegen einer Ausnahmesituation in der individuellen Steuerbelastung des einzelnen Steuerpflichtigen. Eine starre Prozentgrenze sieht das Gesetz weder vor, noch kann eine solche die gesetzlich geforderte Prüfung der Außerordentlichkeit im Einzelfall ersetzen (gegen BMF-Schreiben v. 1.11.2013, IV C 4-S 2290/13/10002, 2013/0929313, BStBl 2013 I S. 1326, das eine geringfügige Teilleistung nur in einer Höhe von bis zu maximal 5 % der Hauptleistung annimmt). Sind keine besonderen tatsächlichen Umstände erkennbar, die die Teilleistung bedingen oder prägen, ist die Frage, ob eine Teilleistung in einem anderen Veranlagungszeitraum der Außerordentlichkeit der Hauptentschädigungszahlung entgegensteht, alleine ausgehend von der Höhe der Teilleistung zu beurteilen.

3. Wurde bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses im einen Jahr eine Entschädigung i. H. v. 10.200 Euro gezahlt und unterlag sie einer ähnlich hohen Progression wie das Einkommen des Arbeitnehmers in den Vorjahren, so ist die im Folgejahr ausgezahlte Hauptentschädigung i. H. v. 104.800 Euro eine tarifbegünstigte Entschädigung, wenn sie in diesem Jahr angesichts eines nur sehr niedrigen restlichen Einkommens sowie des Bezugs von Arbeitslosengelds eine erhebliche Progressionswirkung hat; die Teilleistung im Vorjahr (10.200 Euro) ist sowohl vom absoluten Betrag her als auch prozentual gesehen (unter 10 %) im Verhältnis zur Hauptentschädigung geringfügig.

4. Bereits nach allgemeinem Verständnis ist eine Teilleistung von unter 10 % der Hauptleistung geringfügig.

 

Normenkette

EStG § 34 Abs. 1, 2 Nr. 2, § 24 Nr. 1 Buchst. a

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 13.10.2015; Aktenzeichen IX R 46/14)

 

Tenor

1. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 09. Juli 2013 wird der Einkommensteuerbescheid 2011 vom 11. Oktober 2012 dahingehend abgeändert, dass ein Betrag in Höhe von EUR 104.800,– der tarifermäßigten Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG unterworfen wird. Die Berechnung der Steuer wird dem beklagten Finanzamt übertragen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Die Revision wird zugelassen.

4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat, §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

 

Tatbestand

In seiner Einkommensteuererklärung für 2011 hat der Kläger die ermäßigte Besteuerung für einen Betrag in Höhe von EUR 104.800,– beantragt. Der Erklärung beigefügt war eine elektronische Lohnsteuerbescheinigung (Bl. 7 der Einkommensteuerakten), wonach der Betrag in Höhe von EUR 104.800,– nicht ermäßigt besteuert wurde. Ebenfalls beigefügt war ein Aufhebungsvertrag vom 24. September 2010 (Bl. 8 der Einkommensteuerakten) zwischen der B AG und dem Kläger, wonach das bestehende Arbeitsverhältnis zum Ablauf des 30. September 2010 im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst wurde und der Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes eine betriebliche Abfindung in Höhe von EUR 104.800,– brutto sowie eine Tarifabfindung in entsprechender Anwendung der Abfindungsregelungen des Tarifvertrages zur Zukunftssicherung in Höhe von EUR 10.200,– brutto erhielt. Die Tarifabfindung war fällig zum 30. September 2010, die betriebliche Abfindung einen Monat nach Ausscheiden aus der Transfergesellschaft. Zum 30. September 2011 ist der Kläger aus der Tarifgesellschaft ausgeschieden, so dass die streitgegenständliche Abfindung in Höhe von EUR 104.800,– im Veranlagungszeitraum 2011 ausgezahlt wurde. Daneben bezog er vom 01. Januar 2011 bis zum 30. September 2011 einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von EUR 7.874,48 aus dem Arbeitsverhältnis mit der Transfergesellschaft. Vom 01. Oktober 2011 bis zum 31. Dezember 2011 bezog er Arbeitslosengeld in Höhe von EUR 4.496,–. Die Zahlung in Höhe von EUR 10.200,– war bereits im Jahr 2010 erfolgt und der tariflichen Einkommen...

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