Leitsatz

Die Erbschaftsteuer für den Vorerbfall ist nach dem Tod des Vorerben regelmäßig gegen den Nacherben und nur ausnahmsweise gegen den Erben des Vorerben festzusetzen.

 

Normenkette

§ 6, § 10 Abs. 8, § 20 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 ErbStG, § 1967, § 2100, § 2139, § 2145 BGB, § 5, § 44 Abs. 1, § 121, § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist Alleinerbin der im Januar 2012 verstorbenen V. Diese war alleinige Vorerbin des in 2007 verstorbenen Erblassers E. Bis zu dem – mit Tod der Vorerbin eingetretenen – Nacherbfall war die Testamentsvollstreckung angeordnet worden. Nachdem das FA den auf Grundlage der Erbschaftsteuererklärung des Testamentvollstreckers vom Februar 2010 ergangenen Erbschaftsteuerbescheid nicht mehr gegenüber der Vorerbin bekannt geben konnte, erließ das FA ab April 2012 gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der Vorerbin Erbschaftsteuerbescheide.

Hiergegen legte die Klägerin Rechtsbehelfe ein und trug u.a. vor, weder der Testamentsvollstrecker noch die Vorerbin hätten die Möglichkeit gehabt, gemäß § 20 Abs. 4 ErbStG die Steuer aus Mitteln der Vorerbschaft zu entrichten, da es das FA versäumt habe, rechtzeitig einen Steuerbescheid zu erlassen. Da nunmehr nur noch die Nacherbin T in der Lage sei, die durch die Vorerbschaft veranlasste Steuer aus den Mitteln des Nachlasses zu entrichten, sei auch der Erbschaftsteuerbescheid an T zu richten. Insoweit verkenne das FA auch, dass § 6 Abs. 2 ErbStG den Nacherben hinsichtlich des Vorerbschaftvermögens als Erben des Vorerben behandele.

Das FG hat die Klage abgewiesen: Gemäß § 6 Abs. 1 ErbStG gelte der Vorerbe steuerrechtlich als Erbe. Steuerschuldner sei nach § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG der Vorerbe als Erwerber. Sei dieser bei Erlass des Steuerbescheides bereits verstorben, sei der Steuerbescheid an dessen Erben als Gesamtrechtsnachfolger i.S.d. § 1922 Abs. 1 BGB zu richten. Aus dem vor Erlass des Steuerbescheides eingetretenen Nacherbfall folge nichts anderes. Insbesondere werde hierdurch nicht der Nacherbe zum Schuldner der durch den Vorerbfall ausgelösten Steuerschuld.

 

Entscheidung

Der BFH hat der Klägerin recht gegeben und die Entscheidung des FG – sowie die Bescheide des FA – aufgehoben (Hessisches FG, Urteil vom 24.7.2014, 1 K 1735/13, Haufe-Index 7417401, EFG 2014, 2059). Grund für die Rechtswidrigkeit der Bescheide gegen die Klägerin ist allerdings nicht das Fehlen der Steuerschuldnerschaft, sondern ein Ermessensfehler.

1. Gesamtschuldnerschaft "Vor- / Nacherbe"

Der Vorerbe gilt nach § 6 Abs. 1 ErbStG als Erbe und schuldet daher nach § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG die Erbschaftsteuer für diesen Erwerb. Der Vorerbe haftet aber auch für die Nachlassverbindlichkeiten nach Maßgabe des § 2145 BGB, insbesondere für Eigenverbindlichkeiten. Der Nacherbe ist Erbe des ursprünglichen Erblassers und haftet nach § 1967 Abs. 1 und 2 BGB auch für Verbindlichkeiten, die nicht vom Erblasser herrühren, sondern als Erbfallschulden den Erben als solchen treffen. Für die aufgrund des Vor­erbfalls entstandene Erbschaftsteuer haftet danach (auch) der Nacherbe. Soweit bisher von der Rechtsprechung und der h.M. in der Literatur eine andere Ansicht vertreten wird, wird dieser nicht gefolgt.

Haftet nach dem Eintritt des Nacherbfalls neben dem Nacherben auch der Vorerbe oder dessen Erbe für die durch den Vorerbfall ausgelöste Erbschaftsteuer, sind sie Gesamtschuldner i.S.d. § 44 Abs. 1 Satz 1 AO und schulden jeweils die gesamte Leistung.

2. Ermessensgerechte Auswahl

Das zuständige FA hat nach seinem pflichtgemäßen Ermessen (§ 5 AO) zu entscheiden, gegen welchen Gesamtschuldner es die Erbschaftsteuer festsetzt. Da der Nacherbe im Verhältnis zum Vorerben oder dessen Erben gemäß § 20 Abs. 4 ErbStG die Erbschaftsteuerschuld des Vorerben zu tragen hat, entspricht es regelmäßig pflichtgemäßem Ermessen, die Steuer gegen den Nacherben festzusetzen.

3. Fehlende Ermessensausübung und -begründung

Setzt das FA die Steuer gegen den Erben des Vorerben fest, liegt eine Ausnahme von der regelmäßig gebotenen Steuerfestsetzung gegenüber dem Nacherben vor, die im Allgemeinen einer Begründung bedarf. Fehlt die erforderliche Begründung und wird sie auch nicht in zulässiger Form nachgeholt, ist der gegen den Erben des Vorerben ergangene Steuerbescheid bereits aus diesem Grund rechtswidrig und aufzuheben. Das FA hätte demnach nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden müssen, gegen welche Steuerschuldnerin es die Erbschaftsteuer festsetzt. Die Auswahl der Klägerin als Steuerschuldnerin hätte spätestens in der Einspruchsentscheidung begründet werden müssen (§ 121 Abs. 1, § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO). Dies ist nicht geschehen.

 

Hinweis

Vor- und Nacherbschaft werden zivil- und steuerrechtlich recht unterschiedlich behandelt. Gemäß § 2100 BGB kann der Erblasser einen Erben (Nacherben) in der Weise einsetzen, dass dieser erst Erbe wird, nachdem zunächst ein anderer Erbe (Vorerbe) geworden ist. Der Nacherbe wird nicht schon im Zeitpunkt des Todes des Erblassers Erbe; die Erbschaft fällt zunächst bei dem Vorerben an...

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