Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Steuerrecht. Mehrwertsteuer. Erstattung der Mehrwertsteuer an Steuerpflichtige, die nicht in dem Mitgliedstaat, in dem sie die Gegenstände und Dienstleistungen erwerben oder mit der Mehrwertsteuer belastete Gegenstände einführen, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind. Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer. Keine Kopie der Rechnung oder des Einfuhrdokuments. Systematische Zurückweisung unvollständiger Erstattungsanträge. Weigerung, nach Ablauf der Frist für die Einreichung eines Antrags den Steuerpflichtigen aufzufordern, seinen Antrag zu vervollständigen. Grundsatz der steuerlichen Neutralität. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zulässigkeit

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 170; EGRL 9/2008 Art. 10, 5; EGRL 112/2006 Art. 171

 

Beteiligte

Kommission/Deutschland

Europäische Kommission

Bundesrepublik Deutschland

 

Tenor

1. Die Bundesrepublik Deutschland hat unter Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer und die praktische Wirksamkeit des Anspruchs der nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässigen Steuerpflichtigen auf Erstattung der Mehrwertsteuer dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 170 und 171 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 geänderten Fassung sowie aus Art. 5 der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige verstoßen, dass sie die Anträge auf Erstattung der Mehrwertsteuer abgelehnt hat, die vor dem 30. September des auf den Erstattungszeitraum folgenden Kalenderjahrs gestellt wurden, denen aber nicht die Kopien der Rechnungen oder der Einfuhrdokumente, die gemäß Art. 10 der Richtlinie 2008/9 von den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats der Erstattung verlangt werden, beigefügt sind, ohne die Antragsteller zuvor aufzufordern, ihre Anträge durch die – erforderlichenfalls nach diesem Zeitpunkt erfolgende – Vorlage dieser Kopien zu ergänzen oder sachdienliche Informationen vorzulegen, die die Bearbeitung dieser Anträge ermöglichen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Bundesrepublik Deutschland trägt neben ihren eigenen Kosten zwei Drittel der Kosten der Europäischen Kommission.

4. Die Europäische Kommission trägt ein Drittel ihrer Kosten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 10. Mai 2019,

Europäische Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaitė und R. Pethke als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch S. Eisenberg und J. Möller als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter M. Ilešič, E. Juhász (Berichterstatter), C. Lycourgos und I. Jarukaitis,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Mit Klageschrift beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 170 und 171 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 (ABl. 2008, L 44, S. 11) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/112) sowie aus Art. 5 der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige (ABl. 2008, L 44, S. 23) verstoßen hat, dass sie sich systematisch geweigert hat, in einem Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer fehlende Angaben nachzufordern, und stattdessen den Erstattungsantrag unmittelbar abgewiesen hat, wenn solche Angaben nur noch nach der Ausschlussfrist des 30. September nachgereicht werden konnten.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2006/112

Rz. 2

Art. 170 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:

„Jeder Steuerpflichtige, der … nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem er die Gegenstände und Dienstleistungen erwirbt oder mit der Mehrwertsteuer belastete Gegenstände einführt, hat Anspruch auf Erstattung dieser Steuer, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke folgender Umsätze verwendet werden:

  1. die in Artikel 169 genannten Umsätze;
  2. die Umsätze, bei denen die Steuer nach den Artikeln 194 bis 197 und 199 lediglich vom Empfänger geschuldet wird.”

Rz. 3

Art. 171 Abs. 1 der Richtlinie lautet:

„Die Erstattung der Mehrwertsteuer an Steuerpflichtige, ...

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