Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuer-Vergütungsverfahren, Keine Erstattung nicht geschuldeter Steuern

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Art. 2 und 5 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige sind dahin auszulegen, dass nicht geschuldete Mehrwertsteuer, die dem Dienstleistungsempfänger irrtümlich in Rechnung gestellt und an den Fiskus des Mitgliedstaats des Orts dieser Dienstleistungen gezahlt worden ist, nicht erstattungsfähig ist.

2. Abgesehen von den in Art. 21 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in ihrer durch die Richtlinie 92/111/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 geänderten Fassung ausdrücklich vorgesehenen Fällen ist nur der Dienstleistungserbringer gegenüber den Steuerbehörden des Mitgliedstaats des Orts der Dienstleistungen als Schuldner der Mehrwertsteuer anzusehen.

3. Die Grundsätze der Neutralität, der Effektivität und der Nichtdiskriminierung stehen nationalen Rechtsvorschriften wie denen im Ausgangsverfahren, nach denen nur der Dienstleistungserbringer einen Anspruch auf Erstattung von zu Unrecht als Mehrwertsteuer gezahlten Beträgen gegen die Steuerbehörden hat und der Dienstleistungsempfänger eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung der nicht geschuldeten Leistung gegen diesen Dienstleistungserbringer erheben kann, nicht entgegen. Für den Fall, dass die Erstattung der Mehrwertsteuer unmöglich oder übermäßig erschwert wird, müssen die Mitgliedstaaten jedoch, damit der Grundsatz der Effektivität gewahrt wird, die erforderlichen Mittel vorsehen, die es dem Dienstleistungsempfänger ermöglichen, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen. Die nationalen Rechtsvorschriften im Bereich der direkten Steuern sind für diese Antwort ohne Bedeutung.

 

Normenkette

EWGRL 1072/79 Art. 2, 5; EWGRL 388/77 Art. 21 Abs. 1

 

Beteiligte

Reemtsma Cigarettenfabriken

Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH

Ministero delle Finanze

 

Tatbestand

„Achte Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Art. 2 und 5 ‐ Nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige ‐ Rechtsgrundlos gezahlte Steuer ‐ Erstattungsverfahren“

In der Rechtssache C-35/05

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Italien) mit Entscheidung vom 23. Juni 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Januar 2005, in dem Verfahren

Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH

gegen

Ministero delle Finanze

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter P. Kũris, J. Kluŭcka, J. Makarczyk und G. Arestis (Berichterstatter),

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. März 2006,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

‐ der Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH, vertreten durch S. Pettinato, avvocato,

‐ der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. De Bellis, avvocato dello Stato,

‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Afonso, M. Velardo und A. Aresu als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 8. Juni 2006

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 2 und 5 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige (ABl. L 331, S. 11, im Folgenden: Achte Richtlinie).

2

Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH (im Folgenden: Reemtsma) und dem Ministero delle Finanze (Finanzministerium) wegen dessen Weigerung, Reemtsma teilweise die Mehrwertsteuer auf Werbe- und Marketingleistungen zu erstatten, die ihr in Italien erbracht worden waren.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3

Art. 2 der Achten Richtlinie bestimmt:

„Jeder Mitgliedstaat erstattet einem Steuerpflichtigen, der nicht im Inland, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, unter den nachstehend festgelegten Bedingungen die Mehrwertsteuer, mit der die ihm von anderen Steuerpflichtigen im Inland erbrachten Dienstleistungen oder gelieferten beweglichen Gegenstände belastet wurden oder mit der die Einfuhr von Gegenständen ins Inland belastet wurde, soweit diese Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke der in Artikel 17 Absatz 3 Buchstaben a) und b) der Richtlinie 77/388/EWG bezeichneten Umsätze oder der in Artikel 1 Buchstabe b) bezeichneten Dienstleistungen verwendet werden.“

4

Art. 5 Abs. 1 der Achten Richtlinie sieht vor:

...

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