Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Mehrwertsteuer. Steuerbefreiungen. Eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen. Erstellung von Gutachten zur Pflegebedürftigkeit. Vom Medizinischen Dienst des Pflegeversicherers beauftragter Steuerpflichtiger. Als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst. g

 

Beteiligte

Finanzamt D

Finanzamt D

E

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 10.04.2019; Aktenzeichen XI R 11/17; BFH/NV 2019,, 1319)

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 24.02.2021; Aktenzeichen XI R 30/20 (XI R 11/17))

 

Tenor

Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass

  • die durch einen unabhängigen Gutachter im Auftrag des Medizinischen Dienstes einer Pflegekasse erfolgende Erstellung von Gutachten zur Pflegebedürftigkeit, die von dieser Pflegekasse zur Ermittlung des Umfangs etwaiger Ansprüche ihrer Versicherten auf Leistungen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verwendet werden, eine eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung darstellt, soweit sie für die sachgerechte Bewirkung der Umsätze in diesem Bereich unerlässlich ist;
  • diese Vorschrift dem nicht entgegensteht, dass diesem Gutachter die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter verwehrt wird, auch wenn er erstens seine in der Erstellung von Gutachten zur Pflegebedürftigkeit bestehenden Leistungen als Subunternehmer im Auftrag des genannten Medizinischen Dienstes erbringt, der als eine solche Einrichtung anerkannt worden ist, zweitens die Kosten der Erstellung dieser Gutachten indirekt und pauschal von der betreffenden Pflegekasse getragen werden und drittens der genannte Gutachter nach innerstaatlichem Recht die Möglichkeit hat, unmittelbar mit dieser Kasse einen Vertrag über die Erstellung der Gutachten zu schließen, um in den Genuss dieser Anerkennung zu gelangen, von dieser Möglichkeit aber keinen Gebrauch gemacht hat.
 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 10. April 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 4. September 2019, in dem Verfahren

Finanzamt D

gegen

E

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Dritten Kammer A. Prechal (Berichterstatterin) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Achten Kammer, des Richters F. Biltgen und der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • des Finanzamts D, vertreten durch P. Kröger als Bevollmächtigten,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und S. Eisenberg als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Mantl und L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Finanzamt D (im Folgenden: Finanzamt) und E über die Frage der Mehrwertsteuerbefreiung für von E erbrachte Dienstleistungen, die darin bestanden, als Subunternehmerin des Medizinischen Dienstes einer Pflegekasse Gutachten zur Pflegebedürftigkeit von Versicherten dieser Kasse zu erstellen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 131 der Mehrwertsteuerrichtlinie, der zu deren Titel IX Kapitel 1 „Allgemeine Bestimmungen”) gehört, lautet:

„Die Steuerbefreiungen der Kapitel 2 bis 9 werden unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen.”

Rz. 4

Titel IX Kapitel 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie trägt die Überschrift „Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten”. Dieses Kapitel umfasst die Art. 132 bis 134 dieser Richtlinie.

Rz. 5

In Art. 132 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

c) Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden;

g) eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter aner...

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