Entscheidungsstichwort (Thema)

Wegzugsbesteuerung, Besteuerung des Wertzuwachses von Gesellschaftsanteilen, Niederlande

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Gemeinschaftsangehöriger wie der Kläger des Ausgangsverfahrens, der seit der Verlegung seines Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat wohnt und sämtliche Anteile an Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Staat hält, kann sich auf Artikel 43 EG berufen.

2. Artikel 43 EG ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, ein System wie das im Ausgangsverfahren streitige einzuführen, nach dem der Wertzuwachs besteuert wird, wenn ein Steuerpflichtiger aus diesem Mitgliedstaat wegzieht, und das die Stundung dieser Steuer von der Leistung von Sicherheiten abhängig macht und Wertminderungen, die möglicherweise nach der Verlegung des Wohnsitzes des Betroffenen eingetreten und nicht bereits im Aufnahmemitgliedstaat berücksichtigt worden sind, nicht vollständig berücksichtigt.

3. Eine Beeinträchtigung aufgrund der Leistung einer unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht verlangten Sicherheit kann durch die bloße Freigabe dieser Sicherheit nicht rückwirkend beseitigt werden. Die Form des Aktes, auf dessen Grundlage die Sicherheit freigegeben worden ist, ist insoweit ohne Bedeutung. Sieht der Mitgliedstaat die Zahlung von Verzugszinsen bei Freigabe einer unter Verletzung nationalen Rechts verlangten Sicherheit vor, werden diese Zinsen auch im Fall eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht geschuldet. Das vorlegende Gericht hat zudem entsprechend den vom Gerichtshof entwickelten Leitlinien und unter Beachtung der Grundsätze der Gleichwertigkeit und der Effektivität zu prüfen, ob der betreffende Mitgliedstaat für den Schaden haftet, der durch die Verpflichtung zur Leistung einer solchen Sicherheit entstanden ist.

 

Normenkette

EGVtr Art. 43

 

Beteiligte

N

N

Inspecteur van de Belastingdienst Oost/Kantoor Almelo

 

Verfahrensgang

Gerechtshof Arnhem (Niederlande) (Urteil vom 27.10.2004; ABl. EU 2005, Nr. C 31/5)

 

Tatbestand

„Freizügigkeit ‐ Artikel 18 EG ‐ Niederlassungsfreiheit ‐ Artikel 43 EG ‐ Direkte Besteuerung ‐ Besteuerung fiktiven Wertzuwachses auf wesentliche Beteiligungen bei Verlegung des steuerlichen Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat“

In der Rechtssache C-470/04

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Gerechtshof Arnheim (Niederlande) mit Entscheidung vom 27. Oktober 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 2. November 2004, in dem Verfahren

N

gegen

Inspecteur van de Belastingdienst Oost/kantoor Almelo

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, des Richters R. Schintgen, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis und J. Klŭcka (Berichterstatter),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: R. Grass,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

‐ von N, vertreten durch P. L. M. van Gorkom, advocaat,

‐ der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und C. A. H. M. ten Dam als Bevollmächtigte,

‐ der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten,

‐ der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing als Bevollmächtigten,

‐ der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. Albenzio, avvocato dello Stato,

‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und A. Weimar als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 30. März 2006

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 18 EG und 43 EG.

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen N und dem Inspecteur van de Belastingdienst Oost/kantoor Almelo (im Folgenden: Inspecteur) wegen einer Entscheidung, mit der der Einspruch von N gegen den Bescheid über die Veranlagung zu Einkommensteuer und Volksversicherungsprämie für das Jahr 1997 zurückgewiesen wurde.

Rechtlicher Rahmen

Einkommensteuergesetz

3

Nach Artikel 3 des Einkommensteuergesetzes (Wet op de inkomstenbelasting) von 1964 (im Folgenden: WIB) wird die Steuer eines inländischen Steuerpflichtigen vom steuerpflichtigen Einkommen berechnet, das gemäß Artikel 4 WIB u. a. den Gewinn aus wesentlicher Beteiligung umfasst.

4

Nach Artikel 20a Absatz 1 Buchstabe b WIB ist Gewinn aus wesentlicher Beteiligung der gesamte Betrag der Vorteile, die sich bei der Veräußerung von Anteilen ergeben, die zu einer wesentlichen Beteiligung gehören. Gemäß Artikel 20a Absatz 3 WIB liegt eine wesentliche Beteiligung vor, wenn der Steuerpflichtige unmittelbar oder mittelbar 5 % des Kapitals einer Gesellschaft hält.

5

Nach Artikel 20a Absatz 6 Ziffer i WIB wird die Beendigung der Steuerpflicht als Gebietsansässiger in anderer Weise als durch Tod der Veräußerung von Anteilen gleichgestellt.

6

Die Modalitäten zur Berechnung des Vorteils, der aus einer fiktiven Veräußerung gezogen wird, sind in Artikel 20c WIB definiert. Nach dessen Absatz 1 besteht der Veräußerungsgewinn im Normalfall aus der Differenz zwis...

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