Leitsatz

Die Dauer einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme ist für die Einordnung einer Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG unerheblich.

 

Normenkette

§ 9 Abs. 4 Satz 8, Abs. 6 EStG

 

Sachverhalt

Der ledige Kläger ist (gelernter) Behälter- und Apparatebauer. Von September bis Dezember des Streitjahres (2014) besuchte er in Vollzeit einen viermonatigen Schweißtechnikerlehrgang bei der Schweißtechnischen Lehr- und Versuchsanstalt in A. In einem Arbeitsverhältnis stand er während dieses Zeitraums nicht. In seiner Einkommensteuererklärung machte der Kläger bei seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit im Zusammenhang mit diesem Lehrgang u.a. Kosten für eine Unterkunft in A sowie Verpflegungsmehraufwendungen für drei Monate als Werbungskosten geltend. Einen doppelten Haushalt führte er nicht.

Das FA berücksichtigte die geltend gemachten Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen bei der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr nicht. Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg. Die daraufhin erhobene Klage wies das FG ab (FG Nürnberg, Urteil vom 9.5.2018, 5 K 167/17, Haufe-Index 11808716, EFG 2018, 1262).

 

Entscheidung

Die Revision des Klägers hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen. Das FG habe zutreffend entschieden, dass es sich bei der Schweißtechnischen Lehr- und Versuchsanstalt in A im Hinblick auf den Schweißtechnikerlehrgang um die erste Tätigkeitsstätte des Klägers handele, und deshalb seine Aufwendungen für die dortige Unterkunft sowie die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen zu Recht nicht zum Werbungskostenabzug zugelassen.

 

Hinweis

1. Nach § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.2.2013 (BGBl I 2013, 285) gilt ab dem Veranlagungszeitraum 2014 als erste Tätigkeitsstätte auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird.

a) Bei der Schweißtechnischen Lehr- und Versuchsanstalt in A handelt es sich um eine Bildungseinrichtung i.S.v. § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG. Diese Bildungseinrichtung hat der Kläger nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) auch außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht.

b) Eine vollzeitige Bildungsmaßnahme liegt – in Abgrenzung zu einer nur in Teilzeit durchgeführten Maßnahme – vor, wenn die berufliche Fort- oder Ausbildung – wie der hier in Rede stehende Schweißtechnikerlehrgang – typischerweise darauf ausgerichtet ist, dass sich der Steuerpflichtige ihr zeitlich vollumfänglich widmen muss und die Lerninhalte vermittelnden Veranstaltungen jederzeit besuchen kann.

c) Eine Bildungseinrichtung gilt auch dann als erste Tätigkeitsstätte, wenn sie vom Steuerpflichtigen im Rahmen einer nur kurzzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird. Davon ist auszugehen, wenn der Steuerpflichtige die Bildungseinrichtung anlässlich der regelmäßig zeitlich befristeten Bildungsmaßnahme nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft), aufsucht. Eine zeitliche Mindestdauer der Bildungsmaßnahme ist nicht erforderlich. Dies folgt sowohl aus dem Wortlaut, der systematischen Auslegung als auch der Entstehungsgeschichte des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG.

2. Folglich sind seit Einführung des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG zum Veranlagungszeitraum 2014 – im Gegensatz zur früheren Rechtslage – bei vollzeitigen Bildungsmaßnahmen, die außerhalb eines Dienstverhältnisses erfolgen, Aufwendungen für die Wege zur Bildungseinrichtung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG und damit nach Maßgabe der Entfernungspauschale als Werbungskosten anzusetzen. Übernachtungskosten und Verpflegungsmehraufwendungen sind ebenfalls nicht länger nach Dienstreisegrundsätzen, sondern nur noch im Rahmen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG bzw. bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Abs. 4a EStG einkommensteuerlich zu berücksichtigen.

3. Nach diesen Grundsätzen hat das FG die Aufwendungen des Klägers für die Unterkunft in A sowie die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen im Ergebnis zu Recht nicht zum Werbungskostenabzug zugelassen. Die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Denn der Kläger unterhielt in den Streitjahren unstreitig keinen eigenen Hausstand außerhalb des Ortes der ersten Tätigkeitsstätte.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 14.5.2020 – VI R 24/18

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